Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom

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aufspringen und mir ihre düsteren Bilder präsentieren, aber ich schob sie energisch zu, schloss ab und warf den Schlüssel weg.

18
    Toby kam von der Haustür zurück und sah mit gekrauster Stirn die Post durch, die der Briefträger gerade abgeliefert hatte. Er wartete auf die Vorschauen von seinem Verlag und schimpfte halblaut vor sich hin, weil sie immer noch nicht angekommen waren. Währenddessen schlitzte er mit dem Finger die Umschläge auf, zog Rechnungen, Fanbriefe und Reklame heraus und sortierte alles auf den Küchentisch. Bezahlen, beantworten, wegwerfen. Dann reichte er mir einen Umschlag und zog sich mit der Fanpost in sein Arbeitszimmer zurück.
    Ich starrte verblüfft auf die Adresse. Wann hatte ich das letzte Mal einen Brief bekommen? Maman telefonierte und schickte höchstens mal eine Postkarte aus dem Urlaub. Die Schrift auf dem Umschlag kannte ich nicht. Ich drehte ihn um, aber da stand kein Absender. Das Papier fühlte sich dick und teuer an. Ich nahm ein Küchenmesser von der Magnetleiste und öffnete den Umschlag, zog den cremefarbenen Briefbogen heraus, der mit einer großzügigen dunkelblauen Schrift bedeckt war. Ich las die Unterschrift und schüttelte verdutzt den Kopf. Vandenbourgh stand da geschrieben. Nova? Warum sollte Nova mir schreiben?
    L ieber Adrian Smollett , begann der Brief, Sie kennen mich nicht persönlich, haben aber vielleicht schon von mir gehört. Eliette Burges hat mir von Ihrem Interesse für Heathcote Manor erzählt. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mich einmal besuchen, damit ich Ihnen etwas von der Geschichte des Hauses und meiner Familie erzählen kann. Es ist so ungewöhnlich, dass junge Menschen sich für die Historie begeistern. Ich besitze noch viele Fotos und alte Briefe, die Sie sicherlich interessieren werden. Rufen Sie mich einfach an, wenn Sie auf eine Tasse Tee vorbeikommen möchten. Ich bin im Ruhestand und habe viel Zeit.
    Darunter stand Herzlich und dann ein unleserlicher Kringel, der ein N oder ein S sein konnte, gefolgt von dem Namen Vandenbourgh .
    Das musste Novas Großmutter sein. Wie sonderbar. Wie freundlich sie schrieb! Ich hatte bisher von dem, was ich gehört hatte, den Eindruck gewonnen, dass die alte Frau Vandenbourgh nicht ganz richtig im Kopf war – aber das hier klang ganz und gar nicht verwirrt, sondern einfach nur freundlich und sehr nett.
    Ich nahm den Brief und ging kurz entschlossen zum Telefon, um die angegebene Nummer zu wählen. Es klingelte und nach einer Weile nahm jemand ab. »Ja, bitte?« Eine Frauenstimme, dunkel wie Honig. Einen Augenblick lang hatte ich das Gefühl, diese Stimme schon einmal gehört zu haben. Ich räusperte mich hastig und nannte meinen Namen.
    »Mr Smollett«, sagte die Stimme. Sie klang erfreut. »Wie nett, dass Sie sich gleich bei mir melden!«
    Ich wechselte ein paar Worte mit ihr. Ms Vandenbourgh wirkte tatsächlich alles andere als verwirrt, sie klang sehr wach und überaus sympathisch. Wir verabredeten, dass ich am späten N achmittag bei ihr vorbeischauen würde. Sie sagte, dass sie sich sehr auf meinen Besuch freue, und legte auf.
    »Mit wem hast du telefoniert?«, fragte Jonathan, der aus dem Badezimmer kam. Ich erklärte es ihm und zeigte ihm den Brief, den er mit verwunderter Miene las. »Na«, sagte er dann und gab ihn mir zurück. »Das ist ja wohl so was wie ein Ritterschlag. Audienz bei Ihrer Gnaden.«
    »Ist es okay, wenn ich zum Abendessen nicht da bin?«, fragte ich ihn.
    Er klopfte mir auf die Schulter. »Ich sage Ms Dickins, sie soll dir was in den Kühlschrank stellen. Blamier uns nicht bei der Lady. Ich glaube, ihr gehört das Dorf.« Er grinste und ging die Treppe hinauf.
    Ich spürte die Gegenwart des Roshis an meiner Seite. Er sah zur Decke. »Und, was denkst du?«, fragte ich.
    Er hob die Schultern und breitete die Hände aus. »Du gehst deinen Weg, Êdorian, und das ist gut so. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, was du tust. Aber ich möchte, dass du dich erinnerst. An alles.« Er klopfte mir sacht mit dem Zeigefingerknöchel gegen die Stirn. »Erinnere dich, Êdorian. Das ist wichtig, sehr wichtig!«
    Ich verstand ihn nicht. Das war nicht ungewöhnlich, ich verstand den Roshi ziemlich häufig nicht. »Woran soll ich mich erinnern?«
    Er lächelte und zupfte wieder an seinem Bart. Seine schwarzen Augen verschwanden zwischen all den Falten, er sah aus wie eine uralte Schildkröte. »Erinnere dich einfach«, gab er zurück.
    »Wenn du doch einmal einfach nur Klartext