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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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danke.«
    Ich ließ mich auf dem kleinen, geblümten Sofa nieder und stellte meinen Rucksack neben meine Füße. Es war alles klein und eng hier, aber gemütlich. Nirgendwo stand Nippes herum, keine Spitzendeckchen, keine Vorhänge oder anderes Omazeug. In der Ecke stand ein Fernseher, darüber im Regal eine kompakte Musikanlage, neben der sich CDs stapelten. An der fensterlosen Wand standen Bücherregale voller zerlesener Taschenbücher. Ich hätte gerne darin herumgestöbert, aber das erschien mir unhöflich, also blieb ich brav sitzen und sah zum Fenster hinaus, während meine Gastgeberin in der Küche herumhantierte.
    S ie kam wenig später zurück und stellte Tee, Sahne und Zucker, eine Platte mit Brötchen und eine zweite mit Muffins auf den Tisch. Dann setzte sie sich mir gegenüber in einen großen Lehnsessel und lächelte mich an. »Adrian Smollett«, sagte sie mit ihrer honigdunklen Stimme. »Adrian Smollett. Du bist so jung.«
    Ich glaube, ich wurde rot. »Was hatten Sie denn erwartet?«
    Sie nickte, als hätte ich etwas sehr Kluges gesagt. »Schenkst du uns ein? Ich muss mich ein bisschen ausruhen.« Sie wischte mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus der Stirn. Obwohl sie immer noch lächelte, sah sie mit einem Mal traurig und erschöpft aus. Ich beugte mich vor und goss Tee in ihre Tasse, dann in meine. »Darf ich Ihnen von den Brötchen ...?«, begann ich.
    Sie winkte ab. »Die sind für dich. Junge Männer haben doch immer Hunger.«
    Ich bedankte mich – es stimmte, ich war hungrig! – und nahm mir ein Brötchen mit Käse, Gurken und Salat. Es schmeckte wunderbar und ich sagte es.
    Sie freute sich, das konnte ich sehen. »Ich habe nie Besuch«, sagte sie. »Die Leute aus dem Dorf halten mich für verrückt, das hast du sicher schon mitbekommen.«
    Ich schluckte und trank von meinem Tee. »Ja«, sagte ich dann. Warum sollte ich sie aus Höflichkeit anlügen, wenn sie selbst so ungerührt darüber sprach? »Mich aber auch«, setzte ich hinzu. »Das haben Sie sicher schon mitbekommen.«
    Sie lachte und nahm einen Muffin. »Wir sollten zusammenhalten«, erwiderte sie vergnügt und brach den Muffin auseinander. »Eliette hat sehr nett von dir gesprochen.« Sie steckte ein Stück Kuchen in den Mund.
    Ich wischte mir die Hände an der Serviette ab, auf der meine T asse stand, und trank meinen Tee. »Sie sind Novas Großmutter, oder? Besucht Ihre Enkelin Sie nicht?«
    Sie antwortete nicht, sah an mir vorbei auf die Zimmerwand und runzelte die Stirn. Sie hatte die gleiche Augenfarbe wie Nova. Ihr Gesicht war runzlig wie ein alter Apfel, aber trotzdem konnte ich sehen, dass sie einmal genauso schön gewesen sein musste wie ihre Enkelin. Es war ein seltsames Gefühl, beinahe, als hätte ich einen Zeitsprung gemacht und säße jetzt neben Nova, die auf unerklärliche Weise gealtert war. Ich schüttelte mich.
    Ms Vandenbourgh holte ihren fernen Blick zurück und sah mich an. »Erzähl mir von dir«, sagte sie.
    Ich schluckte einen großen Bissen Brot hinunter und breitete folgsam das nicht allzu interessante Leben eines Schülers vor ihr aus.
    Sie unterbrach mich mit einer ungeduldigen Handbewegung. »Ja, ja«, sagte sie. »Das ist nicht wichtig. Erzähl mir von dir und dem Haus!« Ihr Blick war aufmerksam und erwartungsvoll. Sie beugte sich ein wenig vor und legte die Hände um die Knie. Auch diese Geste erinnerte mich an Nova.
    »Ich und das Haus«, wiederholte ich ein wenig ratlos. »Wir wohnen im Kutscherhaus.«
    »Das weiß ich.«
    Ich rollte die Augen. »Heathcote Manor ist ... seltsam.«
    Sie nickte. »Weiter.«
    »Manchmal erscheint es wie ein ganz normales, bewohntes Gebäude, dann wieder ist es eine zerfallene Ruine.« Ich wagte mich auf glattes Eis. Das war der blanke Irrsinn, den ich niemandem gegenüber gewagt hätte, laut auszusprechen. Aber die hellen Augen in dem knittrigen Gesicht änderten ihren Aus d ruck nicht. Aufmerksam. Erwartungsvoll. Ms Vandenbourgh nickte mir zu. Weiter. In meinen Ohren rauschte das Blut. Die Kalte Stelle sandte eisige Stiche durch meinen Kopf.
    »Ich. War. Im. Haus.« Die Worte fielen wie Steine in einen ruhigen Teich. Mir brach der Schweiß aus. Was erzählte ich ihr da?
    Sie atmete tief ein und wieder aus. »Ja, du warst im Haus«, flüsterte sie. »Was hast du gesehen?«
    Ich beschrieb stockend die Bilder, die jetzt vor meinem inneren Auge auftauchten. Die großzügige Eingangshalle, die Bilder an der Wand, der vornehme Salon. Ich hatte keine Erinnerung daran,

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