Das Haus am Abgrund
Vandenbourgh?«
Er streckte sich und faltete die Hände vor dem Bauch. »Sie könnte dir helfen, es zu verstehen.«
Er hatte recht. Mir schwirrte der Kopf von all diesen Geschichten und Notizen, Informationen und Zeitungsmeldungen, und mein Gehirn weigerte sich, die Puzzleteile zusammenzusetzen.
Ich stopfte das ganze Zeug in meinen Rucksack. »Danke«, sagte ich. Der Roshi nickte lächelnd.
I ch rief Jonathan einen Abschied zu, den er mit einem »Warte!« beantwortete.
»Was ist?«, fragte ich ungeduldig zurück. Ich war noch nicht zu spät dran, aber ich hatte vor, noch mal kurz beim Museum vorbeizuschauen, um Nova zu ... um ein paar Worte mit Eliette Burges zu reden.
Jonathan steckte den Kopf in den Flur. »Wir dachten, dass du Ms Vandenbourgh etwas mitbringen solltest. Toby hat doch all diese eingepackten Flaschen.«
Mir verschlug es kurz die Sprache. Dann stürmte ich ins Zimmer. Er stand vor dem geöffneten Schrank und beugte sich über das Fach mit den Flaschen. Ich hörte das laute Klirren von Glas.
»Jonty«, sagte ich hastig und etwas zu laut, »ich kann doch nicht mit hochprozentigem Zeug zu so einem Besuch antreten. Wie sieht das denn aus?«
Er hörte auf herumzukramen und drehte sich um. Seine Stirn war gerunzelt. Er hielt eine der von mir eingepackten Wasserflaschen in der Hand. Mir brach der kalte Schweiß aus. Verdammt ...
»Stimmt«, sagte er. Er wog die Flasche in der Hand und sah sie nachdenklich an. Dann stellte er sie auf den Tisch. »Das ist vielleicht wirklich nicht so eine gute Idee. Geh beim Dorfladen vorbei und besorge eine Schachtel Pralinen oder so etwas. Blumen. Was meinst du?«
»Ja, super, Pralinen«, stimmte ich überschwänglich zu. »Tolle Idee, Jonty! Pralinen sind das perfekte Geschenk für eine alte Dame!«
Er griff in seine Tasche und holte seinen Gelbeutel heraus, aus d em er mir einen Schein in die Hand drückte. »Sei nicht geizig, such was Schönes aus«, sagte er.
Ich warf noch einen verzweifelten Blick auf den offenen Schrank und die trojanische Flasche, die auf dem Tisch stand. »Willst du das nicht wieder abschließen?«
Er schüttelte den Kopf und schob mich aus dem Zimmer. »Ms Dickins kann den Schrank gleich mal sauber machen.«
19
Jetzt war die Zeit doch zu knapp, um noch einen Abstecher zum Museum zu machen. Ich ließ mir von Lizzie die schönste und größte Pralinenschachtel einpacken und versuchte, ihr verschwörerisches Lächeln und die kleinen Bemerkungen zu ignorieren, während sie das Geschenkpapier in dekorative Falten kniffte. Endlich reichte sie mir die Schachtel, nahm das Geld und sagte: »Dann wünsche ich dir einen schönen Abend mit deiner Süßen.« Ich verdrehte die Augen und verließ fluchtartig den Laden.
Das Haus, in dem die alte Ms Vandenbourgh wohnte, lag zwischen dem Berg und der Hauptstraße, die zum Hafen hinunterführte. Das Sträßchen wand sich den Hang hinauf und endete in einer Wiese. Das Cottage war winzig und sah ganz und gar nicht nach Reichtum aus. Um die Tür rankten gelbe Rosen und an der Regenrinne kletterte ein grünes Schlinggewächs empor und wucherte über das Dach. Das Häuschen sah aus, als stünde es in einem grünen Gebüsch. Ich öffnete das Gartentörchen, ging über den gepflasterten Weg, in dessen Ritzen dicke grüne Moospolster wuchsen, und klopfte an die Haustür.
Nach einer Weile hörte ich Schritte. Dann wurde die Tür ge ö ffnet und eine alte Frau sah mich fragend an. Sie trug Jeans, Turnschuhe und ein Holzfällerhemd und ein unordentlich geflochtener, dicker weißer Zopf ringelte sich über ihre Schulter. Ich kannte sie. Das war die alte Frau, die mich vor dem Museum so erschreckt hatte, dass ich sie für einen Lemur gehalten hatte. Ich hielt ihr aus lauter Verwirrung die Pralinenschachtel unter die Nase und sagte: »Adrian.«
Es war nett von ihr, dass sie sich nichts anmerken ließ. Sie lächelte, nahm mir die Pralinen ab, bedankte sich und bat mich herein.
Ich folgte ihr durch einen dunklen, engen Flur mit Steinboden, in dem es wie in einem Keller roch. Das Zimmer, in das sie mich führte, war allerdings wirklich gemütlich. Das kleine Fenster blickte auf einen winzigen, am Hang gelegenen Garten hinaus, in dem ein Rosenbusch neben dem anderen blühte. Das Fenster stand offen und der süße Duft der Blumen wehte ins Zimmer. So ähnlich musste sich Dornröschen gefühlt haben.
»Setz dich aufs Sofa«, sagte die alte Frau. »Ich hole unseren Tee. Nein, nein, ich brauche keine Hilfe,
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