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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Lebenszeichen von sich und schien auch nicht mehr zu atmen. »Jamie«, schrie sie verzweifelt. »Jamie, ich glaube, er ist tot.«
    Er stand mit hängenden Schultern ein Stück abseits und blickte mit verkniffener Miene zum Weg. »Wir müssen weg sein, ehe sie kommen«, hörte sie ihn sagen. Er steckte zwei Finger in den Mund und ließ einen schrillen Pfiff ertönen. Inzwischen brannten zwei weitere Schuppen.
    »Was ist, Hewett?«, rief einer der anderen.
    »Die Pigs«, antwortete Jamie laut.
    Der Ruf pflanzte sich über das Gelände fort. November, die immer noch neben dem leblosen Mann hockte, sah, wie die Jungs nach und nach den Rückzug antraten. Der Anführer nahm Jamies Arm – es hatte nichts Freundschaftliches – und fragte gedämpft: »Wer hat die Pigs gerufen?« Sein Blick fiel auf November und sie fröstelte. Seine Augen waren so glatt wie polierter Marmor und ebenso kalt. Sie kannte ihn vom Sehen, er stand oft wie ein Feldherr an der Theke des Pubs und beobachtete mit unbewegter Miene seine Gefolgsleute. Er hieß Kenan, glaubte sie sich zu erinnern. Maurer war er oder irgendetwas anderes am Bau. Ein vierschrötiger Bursche mit kräftigen Muskeln.
    Jamie riss sich los. »Keine Ahnung«, sagte er knapp. »Ich habe das Blaulicht auf dem Hügel gesehen. Sie kommen hierher.«
    Kenan fluchte seltsam emotionslos. Er starrte immer noch November an. »Was macht deine Freundin hier?«
    »Wir waren verabredet. Sie ist mir gefolgt.« Jamie ruckte unbehaglich mit den Schultern.
    »Bring sie nach Hause, Hewett.« Kenan ging dicht an No v ember vorbei. Sie glaubte, tief in seinen kalten Augen einen rötlichen Funken zu erkennen, der wahrscheinlich ein Reflex des Feuers hinter ihr war. Sie erwiderte den Blick so ungerührt sie konnte. Er blieb kurz stehen, neigte den Kopf, musterte sie nachdenklich. Dann nickte er und lief mit weit ausgreifenden Schritten davon. Das Dunkel verschluckte ihn wie einen Teil von sich.
    »Er ist böse«, sagte sie impulsiv. »Du solltest nicht mit ihm ...«
    Jamie zog sie unsanft auf die Füße und gab ihr einen Schubs. »Lauf«, sagte er. »Die Pigs kommen. Wenn sie uns erwischen, verbringen wir die Nacht auf der Wache.«
    November sah noch einmal zu dem leblosen Mann hin. Er war ganz sicher tot. Wie schrecklich, wie unglaublich grausam das war. Hätte sie nicht irgendetwas tun, das Ganze irgendwie verhindern können?
    Jamie zerrte sie mit sich und sie gab ihren Widerstand auf und rannte neben ihm her. Es war ohnehin zu spät. »Wie konntest du das nur mitmachen«, keuchte sie, während sie neben Jamie den Pfad hinaufrannte. »Wie konntest du nur, Jamie Hewett!«

22
    ADRIAN
    Es war früher Abend, als ich zum Kutscherhaus zurückkehrte. In der Magnolie sang eine Amsel, es klang traurig und süß. Ich blieb eine Weile im Schatten des Hauses stehen und hörte ihr zu. Der Gesang des Vogels verstärkte meine melancholische Stimmung. Der Besuch bei der alten Ms Vandenbourgh hatte mich auf unerklärliche Weise traurig gestimmt. Sie war so einsam und hatte sich so sehr darüber gefreut, dass jemand sie besuchte und ihr zuhörte. Es musste schrecklich sein, alt zu werden.
    »Dann freu dich doch, dass du das nicht erleben wirst.«
    Ich drehe mich nicht um. In der letzten Zeit geht er weg, wenn ich ihn nicht beachte. Er lacht, und ich kann im Augenwinkel sehen, dass er sich lässig mit verschränkten Armen gegen die Hauswand lehnt. Seine Hände sind leer, was mich erleichtert aufatmen lässt.
    »Sie warten schon sehnlichst auf dich, deine beiden süßen Daddys«, sagt er und verzieht seinen Mund zu einem klaffenden Grinsen. »Eile, mein Junge, eile in ihre Arme. Oh, wie lieb sie h eute zueinander waren. So ganz und gar fürsorglich und herzensgut!« Er lacht wieder und breitet die Arme aus. »Eile, mein Vögelchen, flieg ins warme Nest!«
    Mir ist kalt, entsetzlich kalt. Ich drücke meine Faust gegen die Schläfe, um den Schmerz in mich hineinzupressen. Der Schmerzaffe kreischt so schrill, dass grelle Sterne in meinem Blickfeld tanzen. Ich gehe vorwärts, halb blind, sehe kaum, wohin ich meine Füße setze. Ich stolpere über die Schwelle, bleibe im Flur einige Atemzüge lang stehen. Durch das Kreischen des Affen und das Gelächter des Jokers höre ich laute Stimmen. Ich kann nicht verstehen, was sie sagen, aber ich erkenne, dass es Tobys und Jonathans Stimmen sind. Sie schreien sich an.
    Ich drücke die Faust noch fester gegen die Kalte Stelle. Mein Blick klärt sich. Vor mir ist die halb geöffnete

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