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Das Haus am Abgrund

Das Haus am Abgrund

Titel: Das Haus am Abgrund Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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Tür, hinter der der Streit passiert. »Du hattest es mir versprochen«, höre ich meinen Vater brüllen. »Herrgott, Jonathan, du hattest mir dein verfluchtes Ehrenwort gegeben!« Ein dumpfer Schlag. Das Geräusch eines Handgemenges.
    Ich bringe irgendwie die paar Schritte bis ins Zimmer hinter mich. Der Joker atmet mir in den Nacken. Er hechelt vor Erregung. Ich kann seinen Atem riechen, süß und ekelhaft.
    Noch nie, seit Jonathan zu uns gehört, habe ich erlebt, dass er und mein Vater sich anders als mit Worten streiten. Ich starre ungläubig auf die Szenerie. Toby schlägt blind vor Zorn auf Jonathan ein, der sich nicht wehrt, sondern nur versucht, die Hände meines Vaters festzuhalten. Schlag um Schlag trifft ihn, aber er duldet es mit einer Miene, die mich mehr erschreckt als das Geschehen selbst.
    Dann sieht er mich in der Tür stehen und packt mit Kraft T obys Handgelenke. Der schreit vor Schmerz und will sich losreißen, aber Jonathan sagt nur: »Adrian.«
    Einen Moment lang steht alles still. Der Joker lacht mir ins Ohr, dann ist er verschwunden.
    Mein Vater drehte sich um und sah mich an. Sein Gesicht war so voller Zorn und Verzweiflung, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurücktrat. Er riss sich aus Jonathans Klammergriff los, stieß einen Laut zwischen Schrei und Stöhnen aus und drängte sich an mir vorbei aus dem Zimmer. Jonathan stand nur da und blickte ihm hinterher, seine Schultern sanken herab, er atmete tief ein und wieder aus. »Adrian«, sagte er wieder.
    Ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht ertragen und sah weg. Mein Blick fiel auf den Tisch und den geöffneten Schrank und meine Knie wurden weich. Die Wasserflaschen, die ich eingepackt und als Ginflaschen wieder in den Schrank gestellt hatte, standen auf dem Tisch, aus dem Papier gewickelt und nebeneinander aufgereiht. Daneben die Flaschen, die ich mit Wasser gefüllt hatte. Zwei waren geöffnet. Eine lag auf dem Tisch, halb ausgekippt, in einer Wasserpfütze. Ich biss die Zähne aufeinander.
    Jonathan sah mich an. »Ary«, sagte er sanft, »wir müssen miteinander reden.« Er machte einen Schritt auf mich zu, legte seine Hand auf meine Schulter, drückte sie. »Komm, gehen wir in dein Zimmer. Toby muss uns ja nicht hören. Komm.«
    Ich folgte ihm wie betäubt. Warum hatten sie sich so schrecklich gestritten? Ich hätte es verstanden, wenn Toby wütend auf mich gewesen wäre, aber warum hatte er Jonathan so angebrüllt und ihn geschlagen? Jonty hatte eine dunkle Verfärbung unter dem Auge, Toby musste richtig Kraft in seine Schläge gelegt haben.
    J onathan lenkte mich ins Zimmer und schob mich auf mein Bett. Er selbst setzte sich in den knarrenden Korbsessel und stützte die Ellbogen auf seine Knie. Er sah mich an und schien nach Worten zu suchen. Dann sagte er: »Ary, vertraust du mir?«
    Ich nickte stumm. Was für eine Frage.
    Er verschränkte die Hände, bettete sein Kinn auf die Fäuste und fixierte mich mit einem Ausdruck, den ich nicht zu deuten wusste. »Geht es dir nicht gut?«, fragte er. »Also, ich meine – fühlst du dich schlechter?«
    Ich verneinte erstaunt. Es ging mir mal gut, mal weniger gut, mal schlecht – aber das war alles so, wie ich es inzwischen gewöhnt war.
    Er nickte. Sein Blick flackerte kurz zur Seite, dann sah er mich wieder an. »Du würdest es mir aber sagen, wenn dich etwas quält?«
    »Ja, sicher«, sagte ich zögernd. Ich vertraute Jonathan, aber das Haus , November, der Joker ... ich konnte ihm das nicht erzählen, er würde das alles nicht verstehen.
    Er hörte die Unsicherheit in meinen Worten und verzog das Gesicht. »Du weißt, dass es nicht gut für dich ist, wenn du ... dich nicht schonst.« Er kämpfte mit seinen Worten. »Nicht ... auf dich achtest. Es macht alles sehr viel schlimmer, wenn du – verdammt, Ary!« Er schlug die Hände ineinander, dass es laut klatschte. »Wann hast du das Zeug getrunken? Jeden Tag? Wie viel davon am Tag?«
    Ich brauchte einige Momente, um zu kapieren, was er meinte. »Den – den Gin?«, fragte ich, und meine Stimme war heiser vor Schreck.
    »Ja, den Gin«, sagte er grimmig. »Oder müssen wir die anderen Flaschen auch noch öffnen?«
    I ch schüttelte den Kopf, unfähig, etwas zu sagen. Es hatte mir regelrecht die Sprache verschlagen. »Ich«, stammelte ich, »ich hab das nicht ... Jonty, ich hab das Zeug nicht getrunken!«
    Ich hatte noch nie erlebt, dass er mich böse angesehen hätte. Das war das erste Mal, und ich konnte den Anblick kaum ertragen. Ich

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