Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
einige Monate brauchen, bis sie das Geld für ihre Reise zusammenhat. Isabella streicht vorsichtig mit den Fingern über das schwarze Band. Sie kann es ertragen.
Als die Sonne auf das Fenster trifft, hört sie, wie sich im Haus Leben regt. Vorsichtig steht sie auf und verlässt das Kinderzimmer. Die Tür am Ende des Flurs steht jetzt offen, und es riecht nach gekochtem Obst und Zimt. Sie biegt um die Ecke ins Esszimmer und sieht eine breithüftige Frau am Herd stehen, die in einem Topf rührt. Isabella räuspert sich leise.
Die Frau dreht sich um. »Oh, guten Morgen«, sagt sie mit einem knappen Lächeln. »Mrs. Fullbright hat mir gesagt, dass du hier bist.«
»Ist Mrs. Fullbright in der Nähe?«
»Sie ist unten. Sie wird gleich zum Frühstück aufstehen, aber wenn du Hunger hast, kannst du mit mir essen.« Die Köchin deutet auf den kleinen runden Tisch, der mitten in der Küche steht. »Hier isst das Personal.«
Isabella setzt sich. Der Stuhl ist hart und ungemütlich. »Ich bin Mary«, sagt sie.
»Ich bin Bessie, aber man nennt mich nur Köchin.« Sie löffelt Porridge mit Apfelkompott in eine Schüssel und stellt sie Isabella hin.
»Gibt es noch weitere Dienstboten?«
Die Köchin schaut sich um und sagt mit leiser Stimme: »Die Fullbrights haben nicht mehr so viel Geld wie früher. Sie hat vor zwei Monaten das Mädchen entlassen und noch nicht für ein neues inseriert. Wir beide werden wohl Staub wischen und putzen müssen.«
Staub wischen? Putzen? »Ich verstehe.«
»Es ist nicht so viel, Liebes. Das haben wir im Nu geschafft, und wenn Master Xavier zurück ist, wirst du sehen, dass er nicht viel Arbeit macht. Er kann sich stundenlang selbst beschäftigen.«
»Wirklich? Mrs. Fullbright hat angedeutet, er sei ein schwieriges Kind.«
»Schon, aber nicht laut oder fordernd. Er spricht nicht.«
»Wie alt ist er?«
»Ach, drei oder vier, schätze ich. Sollte inzwischen reden wie ein Wasserfall, hat aber noch kein Wort gesagt. Nicht mal Mama oder Papa.« Die Köchin wendet sich wieder ihrem Topf zu. »Aber du darfst das nicht in Gegenwart der Fullbrights erwähnen. Sie sind da sehr empfindlich. Können die Vorstellung, er könnte nicht normal sein, nicht ertragen. Mr. Fullbright hat sich in den Kopf gesetzt, der Junge sei einfach nur ungezogen.«
Isabella muss die Neuigkeiten verdauen. Sie ist neugierig darauf, Xavier und Mr. Fullbright kennenzulernen. Sie ist auch gespannt, Katarina bei Tageslicht zu begegnen. Sie erinnert sich an eine glanzvolle Schönheit, die im Lampenlicht dunkel schimmerte. Vielleicht sieht sie bei Tag eher wie eine normale Frau aus. Aber Isabella hat auch Angst: Sie hat sich nicht mehr um ein Kind gekümmert, seit sie ihr eigenes verloren hat.
Die Köchin setzt sich mit einer Schale Porridge ihr gegenüber und beginnt geräuschvoll zu essen. Isabella hört Schritte auf der Treppe und dann Katarinas Stimme. »Ist Mary schon wach?«
»Ich bin hier, Ma‘am«, ruft Isabella, schiebt den Stuhl zurück und geht zu Katarina ins Wohnzimmer.
Sie trägt die Haare heute straff zurückgekämmt. Ohne die dunkle Mähne fehlt ihr die Wolke aus üppiger Sinnlichkeit, die Isabella in Erinnerung geblieben ist. Sie ist auch nicht in Rot, sondern in dunkelblauen Serge gekleidet. Immer noch schön, aber nicht mehr so überwältigend. Isabella fragt sich, wo Katarina gestern Abend ohne ihren Ehemann und in solch aufsehenerregender Pracht hingegangen sein mag.
»Ah, Mary, dein Gesicht ist nicht mehr so gerötet, und du hast dir die Haare gekämmt. Zum Glück. Xavier würde sich erschrecken, wenn er dich in diesem Zustand sähe. Komm, ich führe dich durchs Haus, und wir sprechen über deine Arbeit.«
Katarina zeigt ihr all die Zimmer, die sie schon gesehen hat oder an denen sie vorbeigekommen ist, darunter auch die beiden neben dem Kinderzimmer. Das eine ist ein Nähzimmer, das andere ein Gästeschlafzimmer. Auf der anderen Seite des Wohnzimmers gibt es ein prachtvolles Schlafzimmer, das Mr. und Mrs. Fullbright gehört. Isabella wird nach unten und durch ein hölzernes Tor in das Untergeschoss geführt.
»Hier befinden sich das Schlafzimmer und der Wohnraum der Köchin«, sie zeigt auf eine Tür zu ihrer Linken. »Da drüben schläft das Hausmädchen, aber sie ist nach Schottland zurückgekehrt, und wir haben noch keinen Ersatz gefunden.« Dann nickt sie zu einem schmalen Flur, an dessen Ende eine Tür zu sehen ist. »Dorthin darfst du nicht gehen.«
Isabella will schon nach dem Grund fragen,
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