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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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frischer Schönheit sieht Isabella aus wie eine Hexe. Sie hat zu viel Entsetzliches gesehen, es steht ihr ins Gesicht geschrieben. Sie wendet sich ab, spritzt sich Wasser ins Gesicht und wäscht sich die Hände, dann geht sie ins Kinderzimmer.
    Links und rechts der Tür stehen Laternen, die sie mit langen Streichhölzern anzündet, die auf dem Toilettentisch liegen. An einer Wand befinden sich ein Kinderbett mit Gittern und ein weiteres kleines Bett. Gegenüber eines für Erwachsene. Dazwischen liegt ein großer blauer Teppich, eine Kiste mit Spielzeug steht herum. Isabella hebt einen Plüschbären vom Boden auf und legt ihn auf das kleine Bett. Sie hat nicht einmal gefragt, wie alt Xavier ist. Wieder überwältigt sie die Frage, was sie eigentlich will. Es geht zu schnell. Sie muss sich erst daran gewöhnen, dass die anderen alle tot sind und sie allein in einem fremden Land ist.
    Gestern Abend haben die Gefühle sie auch überwältigt, doch der lange Nachtschlaf brachte Erholung. Das Erlebte hat sie erschöpft, bis tief in die Seele hinein. Sie lässt die Tasche neben dem Bett fallen und zieht das Kleid aus.
    Die Haustür schlägt zu. Schritte verklingen auf den Stufen. Sie ist allein in einem fremden Haus. Die Neugier macht sie unruhig. Sie öffnet die Tür des Kinderzimmers und horcht angestrengt. Nichts. Am Ende des Flurs führt eine Tür ins Wohnzimmer. Sie drückt die Klinke hinunter. Abgeschlossen.
    Isabella ist gereizt, obwohl sie weiß, dass sie kein Recht dazu hat. Katarina ist ihr vor einer Stunde zum ersten Mal begegnet, natürlich darf sie sich nicht frei und ungehindert im Haus bewegen. Sie ist nur eine bezahlte Hilfe.
    Isabella kehrt in ihr Zimmer zurück, kniet sich aufs Bett und stützt die Hände aufs Fensterbrett. Sie kann den Leuchtturm über den Bäumen sehen. Sein Leuchtfeuer ist zum Leben erwacht und malt ein Muster aufs Meer, meilenweit über den wütenden Ozean, der Isabellas altes Leben von diesem seltsamen, neuen trennt. Lange sieht sie nach draußen, während der Abend tiefer wird und die Dunkelheit sie umschließt.

    Um drei Uhr vergräbt Matthew einen großen Gegenstand im Wald. Es ist keine Leiche, aber er hat ein so schlechtes Gewissen, als wenn es eine wäre. Er hat die Gewichte aufgezogen, damit das Leuchtfeuer weiter blitzt; es ist das erste Mal, dass er den Leuchtturm während des Betriebs verlässt. Es ist natürlich nicht verboten, das Leuchtfeuer kurz allein zu lassen, aber er geht ein Risiko ein, und Matthew mag keine Risiken. Auch gefällt es ihm nicht, dass er Isabella bezüglich des wertvollen Stabes belogen hat, den er in seinen Sarg aus Walnussholz gelegt und sorgfältig in Öltuch gewickelt hat, um ihn hier zwischen den Knopfmangroven zu vergraben.
    Als er fertig ist, richtet er sich auf und stützt die Hand in den Rücken. Er ist nicht mehr jung. Als sich der Schmerz gelegt hat, lässt er die Kiste in das drei Fuß tiefe Loch fallen und bedeckt sie mit Erde. Währenddessen fragt er sich, wieso er das eigentlich macht. Wieso er seine Pflichten vernachlässigt und sich in der dunkelsten Stunde der Nacht abmüht, etwas Kostbares zu vergraben, das vermutlich illegal erworben wurde, und zwar von einer Frau, die er kaum vierundzwanzig Stunden kennt. Ist er ein so törichter alter Kerl, dass eine Frau, nur weil sie ihn an Clara erinnert, seinen moralischen Kompass durcheinanderbringen kann?
    Nein. Er hilft einem Menschen in Not, das ist alles. Sie kam verzweifelt und blutend zu ihm, hatte nicht einmal Schuhe an. Nun hat sie die kostbare Erinnerung an ihr verlorenes Baby zurückerlangt und ein Dach über dem Kopf und eine ehrliche Arbeit. Die Kiste zu vergraben ist auch nicht schlimmer, als sie in den Ozean zu werfen. So kann sie, wenn sie ihre Meinung ändert, irgendwann dorthin zurückkehren, woher sie gekommen ist. Und er möchte ihr diese Möglichkeit offenhalten.
    Matthew klopft die Erde fest, damit sie sich nicht von der Umgebung unterscheidet. Dann streut er welkes Laub darüber, als hätte dort nie jemand gegraben. Es ist Zeit, zum Leuchtfeuer zurückzukehren.

Dreizehn
    P ercy Winterbourne kann nicht lesen. Natürlich hat er es gelernt. Natürlich ist er nicht dumm, keineswegs. Aber wenn er Buchstaben und Zahlen betrachtet, verwandeln sie sich manchmal in Hieroglyphen, drehen sich auf den Kopf und von vorn nach hinten. Mit Konzentration und schlauen Tricks – einige Buchstaben abdecken, während er andere entziffert, sie mit oder ohne Taschenspiegel betrachten –

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