Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)
kommt er meistens zurecht. Doch am besten geht es ihm, wenn er gar nicht erst am Schreibtisch sitzen, kein Buch oder Register aufschlagen und nicht im Beisein anderer etwas lesen muss.
Wenn Arthur endlich von seiner Reise zurückkehrt, kann ihm Percy den ganzen Papierkram überlassen und muss nie wieder einen Blick darauf werfen.
Er sitzt am großen Mahagoni-Schreibtisch seines Bruders, vor dem Fenster erstreckt sich ein Kastanienwald. Die Weidenkätzchen blühen, und weiße Wildblumen schimmern golden in der Spätnachmittagssonne. Wie gern wäre er jetzt mit seinen Hunden da draußen, würde wandern oder jagen oder einfach nur eine fröhliche Melodie pfeifen. Stattdessen sitzt er hier drinnen und versucht zum vierten Mal, die Zahlen am Ende der Spalte mit den Zahlen am Ende der anderen Spalten auf einen Nenner zu bringen. Er könnte schwören, dass sie zwischen den Spalten hin und her springen, nur um ihn zu ärgern, weil er sie heute so oft verflucht hat.
Es klopft. Percy schiebt das Hauptbuch unter einen Stapel Schmuckbestellungen. Niemand soll merken, dass er Ende April noch mit den Zahlen vom März kämpft.
»Herein«, sagt er und bemüht sich, nicht frustriert oder schwach oder niedergeschlagen zu wirken.
Die Tür geht auf, und Charles Simmons, der Leiter der Handelsabteilung, steht in der Tür. Er ist weiß wie ein Laken. Furcht regt sich in Percys Magengrube. »Mylord, ich …«
»Machen Sie die Tür zu, und setzen Sie sich«, sagt Percy. Es sind schlechte Neuigkeiten. So sieht niemand aus, der etwas Gutes zu berichten hat.
Charles geht über den dicken Teppich und setzt sich auf den Lederstuhl vor dem Schreibtisch. Er faltet die zitternden Hände über den Knien.
»Heraus damit.«
»Vorhin habe ich das Telegramm eines wütenden Geschäftsmanns aus Brisbane in Australien erhalten. Er erwartete eine Lieferung. Es scheint, dass die Aurora nicht in Brisbane eingetroffen ist.«
Percy ist verwirrt. »Wo ist Brisbane? Ich dachte, Arthur führe nach Sydney.«
»Es ist der letzte Hafen vor Sydney. Sie wurden dort erwartet, um eine Ladung Teppiche und Tapeten zu löschen.« Charles wirft einen Blick auf die grüne Flocktapete.
»Sie haben sich verspätet. Da braucht man doch nicht so bleich zu werden.«
»Ich habe ein Telegramm an den Hafen in Townsville geschickt. Die Aurora hat dort am 29. März eine Ladung abgeliefert, kurz vor einer Schlechtwetterperiode. Das ist fast einen Monat her, Sir. Von Townsville nach Brisbane braucht man nur wenige Tage.«
Percy versucht, die aufsteigende Panik zu unterdrücken. Eine Katastrophe! Der unschätzbare Amtsstab, der Gegenstand, der ihnen endlich einen Auftrag der Königin eingebracht hat. Und wie soll er Mutter erklären, dass Arthur auf See verschollen ist? Seit dem Tod des Vaters verehrt sie ihren erstgeborenen Sohn. Sie verehrt ihn so sehr, dass Percys Gefühle für seinen Bruder und die verrückte Schwägerin längst erkaltet sind.
Dann durchzuckt ihn ein Gedanke: Muss er für den Rest seines Lebens über Zahlen und Buchstaben im Büro sitzen, falls Arthur nicht zurückkommt?
Er springt auf. »Erzählen Sie niemandem davon. Vielleicht tauchen sie doch noch auf. Telegrafieren Sie den Leuchtturmstationen entlang der Küste. Nehmen Sie Verbindung zur Polizei in Brisbane auf. Tun Sie alles, um die Aurora zu finden. Wir dürfen nicht gleich das Schlimmste annehmen. Noch nicht.« Bei dem Gedanken, dass der unschätzbar wertvolle Amtsstab tief auf dem Meeresgrund liegt, nur geschützt von den Händen seines toten Bruders, wird ihm übel.
»Das werde ich, Sir.« Charles erhebt sich. »Ich werde nicht ruhen, bis wir wissen, was geschehen ist. Und ich bedauere es außerordentlich, dass ich Ihnen die beunruhigende Mitteilung machen muss, dass etwas so Kostbares womöglich verlorengegangen ist.«
»So kostbar«, wiederholt Percy. »Das Kostbarste, was wir je hergestellt haben.«
Charles räuspert sich. »Ich meinte Ihren Bruder, Sir.«
Das kurze, verlegene Schweigen macht Percy wütend. »Na los, gehen Sie. Und geben Sie mir Bescheid, wenn Sie etwas hören.«
Isabella erwacht sehr früh, doch die Tür am Ende des Flurs ist noch verschlossen. Sie steht auf, wäscht sich, zieht sich an und setzt sich aufs Bett. Sie ist nicht die Herrin in ihrem eigenen Haus. Sie ist eine Dienstbotin. Dienstboten sollen den Launen anderer dienen. Das ist der allgemeinen Stellung einer Frau gar nicht so unähnlich, und sie hofft, sich rasch daran zu gewöhnen. Gewiss wird sie nur
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