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Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition)

Titel: Das Haus am Leuchtturm: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kimberley Wilkins
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ihr Kind aussehen können. Natürlich nicht mit dunklem Haar und dunklen Augen, aber mit dicken Fäusten und kräftigen Beinen, glänzendem Blick und samtiger Haut. Er ist Daniels lebender Zwilling, und sie ist einen Moment lang wie eingefroren, aber das Kind sieht ängstlich aus, also nimmt sie ein Stück Apfel vom Tisch und gibt es ihm. Das lenkt ihn ab, und er entspannt sich wieder.
    »Er ist ein schwieriges Kind«, erklärt Katarina. »Er will nicht sprechen, obwohl er eindeutig versteht, was wir sagen.«
    »Verwöhne ihn nicht«, fügt Ernest hinzu. »Sorge dafür, dass er lesen und rechnen lernt.«
    »Und nicht am Daumen lutscht.«
    Isabella erhebt sich und winkt Xavier. »Sollen wir ins Kinderzimmer gehen?«
    Er steht auf, um ihr zu folgen. Sie schließt die Tür am Ende des Flurs und streckt ihm sofort wieder die Hand hin. Er ergreift sie rasch und bereitwillig – seine Finger sind weich und etwas klebrig –, und sie weiß, dass er genau das Gleiche spürt wie sie: dass sie irgendwie füreinander bestimmt sind.

    Isabella wacht auf und blinzelt in der Dunkelheit. Stimmen. Schreie. Sie liegt still in ihrem schmalen Bett und horcht. Draußen ist es windig, die Bäume biegen sich vor dem nächtlichen Himmel, werfen im Mondlicht Schatten durch die Spitzengardine. Sie kann nicht hören, was sie sagen, aber sie weiß, dass es Katarina und Ernest sind. Katarina kreischt, Ernest dröhnt. Anschuldigungen fliegen hin und her. Isabella steht auf und geht an Xaviers Bett vorbei. Er atmet leicht und ruhig, die Stimmen stören ihn nicht. Sie öffnet die Tür des Kinderzimmers und horcht in den Flur, fängt ein paar Worte auf, keins davon harmlos: Säufer, Hure, Lügner, Bastard. Dann ein ohrenbetäubender Knall, und das ganze Haus erzittert, als einer von ihnen herausstürmt und die Tür mit mörderischer Gewalt hinter sich zuschlägt. Isabella weicht rasch ins Kinderzimmer zurück und schließt die Tür, doch es ist zu spät. Xavier regt sich und beginnt zu wimmern.
    »Sch«, sagt sie, kniet sich neben das Bett und streichelt ihm über die Stirn. Sie ergreift seine kleine Hand und legt sie an seine Lippen. Mit traumwandlerischer Sicherheit findet er den Daumen und saugt heftig daran. Das Wimmern hört auf, der Schlaf kehrt zurück. Sie bleibt noch ein paar Minuten bei ihm, bis er sich endgültig beruhigt hat. Dann kehrt sie in den Flur zurück.
    Sie kann jemanden schluchzen hören. Katarina, sie weint herzzerreißend. Isabella nähert sich der Tür am Ende des Flurs und drückt die Klinke. Verschlossen. Sie weiß, dass es sie nichts angeht, erinnert sich aber, dass sie selbst einmal so geschluchzt hat und niemand zu ihr gekommen ist. Sie klopft leise.
    Das Weinen hört auf. Isabella hört leichte Schritte, dann geht die Tür auf. Katarina steht mit tränennassem Gesicht vor ihr. »Was ist?« Isabella sieht, dass sie einsam und gefangen ist. Isabella weiß genau, wie sich das anfühlt.
    »Lassen Sie mich Tee machen, Ma‘am«, sagt Isabella.
    Katarina schüttelt den Kopf, doch Isabella ist schon auf dem Weg in die Küche. Katarina folgt ihr und lässt sich auf einen der harten Stühle am Tisch sinken. Dann legt sie den Kopf auf die Arme, um noch ein bisschen zu weinen. Isabella zündet das Herdfeuer an und setzt den Kessel auf, gibt Tee in die Kanne und holt Milch aus der Eiskiste. Schließlich stellt sie das Tablett vor Katarina hin. Dampf steigt aus den Tassen, als sie den Tee eingießt.
    Katarina hebt den Kopf. »Danke, Mary. Ist das Kind aufgewacht?«
    »Ja, als die Tür zugeschlagen ist, aber nur kurz. Er schläft jetzt wieder tief und fest.«
    »Ich bin so unglücklich.«
    »Ich weiß.«
    »Woher?«
    Isabella sagt nicht, dass auch sie in einer Ehe gefangen war, die ihr Herz mit Hass statt mit Liebe erfüllte. Sie sagt nicht, dass ihr Mann erst vor wenigen Wochen gestorben ist und dass sie nicht ein einziges Mal um ihn geweint hat. Sie antwortet nur: »Einfach so.«
    »Er ist eifersüchtig. Er meint, ich schaue andere Männer an. Er denkt, ich wolle ihre Aufmerksamkeit erregen und ihn blamieren.« Sie senkt die Stimme. »Manchmal frage ich mich, ob er mir irgendwann weh tut. Er hat sich in den Kopf gesetzt, ich hätte einen Liebhaber. Er will mich umbringen.«
    Isabella schaut sie an und erinnert sich an die Zeiten, in denen Arthur so wütend war, dass sie fürchtete, er könnte mit den Fäusten auf sie losgehen. Der Zorn der Männer ist furchterregend. Katarina schluchzt wieder, und etwas in Isabella rührt sich.

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