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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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Konfrontation mit dem Tod an diesem Morgen sie versetzt hatte, verflüchtigte sich allmählich. Wenn morgen der Mord in der Zeitung steht, wird mein Artikel ganz schön gefragt sein, dachte sie.
    Sie wandte sich vom Computer ab und blickte über das glitzernde Wasser. Die Ereignisse des Vormittags zogen an ihr vorbei – zum wievielten Mal? Etwas irritierte sie, wenn sie an das Gespräch mit Benno Berg dachte, immer wieder, wie eine raue Stelle an einem Zahn. Sie versuchte sich zu erinnern, was sie ihm über ihren Weg im Haus am Nonnengraben erzählt hatte, wohin sie dort gegangen war. Sie war sich sicher, dass sie Tanjas Küche nicht erwähnt hatte. Aber die Polizei würde wohl feststellen, dass sie dort gewesen war. Sie hatte die Türklinke angefasst. Also würden dort ihre Fingerabdrücke sein – und die von Tanja. Konnte man Fingerabdrücke, die sich überlagerten, ablesen wie Schichtabfolgen in der Archäologie? Wahrscheinlich nicht, vermutlich verdarben sich Fingerabdrücke gegenseitig. Und wenn einzelne, deutliche Fingerabdrücke von ihr und Tanja gefunden wurden, konnte man diese dann datieren? Konnte ein Experte sagen, dieser Abdruck sei ganz frisch von heute früh, und bei jenem sei das Hautfett schon drei Tage alt? Konnte man damit beweisen, dass sie und Tanja gleichzeitig im Haus gewesen waren?
    Aber Hanna wusste, dass das Problem nicht die Fingerabdrücke waren. Das Problem war sie selbst. Wenn jemand sie nach der zweiten Person in der Küche fragte, würde sie es nicht fertigbringen, zu sagen, sie habe dort niemanden gesehen. Vermutlich war es günstiger, von sich aus darüber zu sprechen, bevor sie gefragt wurde, so wie sie es ja schon am Mittag hatte tun wollen. Sie sagte sich, dass sie Benno Berg vertrauen konnte, dass er sie verstehen und Tanja beschützen würde. Sie streckte gerade die Hand nach dem Telefon aus, um ihn anzurufen, als es klingelte.

7
    Benno kickte wütend ein Steinchen vor sich her. Er war sauer. Sie hatte gelogen, Hanna hatte ihn angelogen. Die Spurensicherung hatte festgestellt, dass die Person, die das Haus am Morgen durch die Vordertür betreten hatte, auch in das Hinterzimmer gegangen und dort mit einer zweiten Person herumgelaufen war. Und die Befragung der Nachbarn hatte prompt eine Zeugin zutage gefördert, die gesehen hatte, wie Hanna – die Beschreibung passte eindeutig auf sie – das Haus um neun Uhr betreten hatte. Um neun Uhr, und angerufen hatte sie ihn um halb zwölf! Was hatte sie in diesen zweieinhalb Stunden getan? Es gab nur eine Lösung: Sie hatte dem Bewohner des Hinterzimmers zur Flucht verholfen. Wie hatte sie nur glauben können, dass die Polizei das nicht herausfinden würde? Oder dass er das nicht erfahren würde? Für wie dumm hielt sie ihn eigentlich?
    Ein Wurm bohrte sich durch seinen Magen. Benno brauchte eine Weile, bis er differenzieren konnte, dass es sich dabei um schieren Hunger handelte. Er schaute auf die Uhr: Es war ja fast schon drei Uhr, und er hatte noch nichts gegessen. Er ging also nicht zurück in sein Büro, sondern quer über die Schranne zu dem kleinen Italiener an der Ecke zur Lugbank, seinem Stammlokal. Der Wirt wollte gerade schließen.
    »Luigi, bitte, ich komme um vor Hunger. Hast du nicht noch eine Kleinigkeit für mich?«
    »No, signore.« Der Italiener hob bedauernd die Handflächen und schüttelte den Kopf. Benno schaute ihn flehend an. Luigi zögerte. »Nur noch halbe Pizza ist da, aber ist kalt.«
    »Luigi, du bist ein Engel. Mach sie warm und her damit.«
    »Pizza aufwärmen?« Luigi hörte sich an, als verlangte man von ihm, Regenwürmer zu rösten.
    »Luigi, bitte, du bewahrst mich vor dem Hungertod.«
    Luigi knurrte und nickte zu Bennos Stammplatz hinüber. Zwei Minuten später standen Oliven und Weißbrot und ein Glas eines leichten Rotweins auf dem Tisch.
    Nach den ersten Bissen versuchte Benno, gründlich und geordnet nachzudenken und eine Struktur in das Chaos in seinem Kopf zu bringen. Aber es war eben doch nicht nur Hunger, was ihn am Denken gehindert hatte. Immer wieder verfingen sich seine Gedanken in einem Gewirr roter Haare und ertranken in einem großen Topf gekränkter Eitelkeit. Wieso hatte sie das getan? Dabei war sie eine miserable Lügnerin. Er hatte doch sofort gemerkt, dass da etwas nicht stimmte, von dem Moment an, als sie so verlegen sein Büro betreten hatte. Für wen log eine Frau wie sie? Doch wohl nur für einen Mann! Sie hatte ihn belogen, ja, sie hatte ihn benutzt, um einem anderen zur

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