Das Haus am Nonnengraben
bemerkenswert, wie viele Menschen diese Frau unglücklich gemacht hat.«
Hanna konnte sich nicht erinnern, dass Tante Kunigunde je so über jemanden gesprochen hatte.
»Elfi. Elfi Patzik, patzig wie Elfi, haben wir immer gesagt. Sie konnte so wundervoll beleidigt sein, reckte die Nase in die Luft und rauschte davon. Königlicher Abgang mit Pauken und Trompeten, pah!« Tante Kunigunde schnaufte kurz durch die Nase.
»Aber schön war sie, das muss man ihr lassen, umwerfend schön. Große, ganz blaue Augen und eine Unmenge schwarzer Haare, die trug sie elegant und weich auf dem Kopf zusammengesteckt, mit so einer stolzen Haltung wie eine Krone.« Tante Kunigunde straffte die Schultern und hob das Kinn in einer Weise, die gleichzeitig anmutig und affektiert aussah. »Und da war noch etwas, sie hatte so etwas – wenn sie einen Raum betrat, spielten alle Männer ›Schwänzchen in die Höh‹.«
Tanja hob ruckartig den Kopf und sah sie erstaunt an. Sie ließ den Rest ihres Essens kalt werden, so aufmerksam hörte sie jetzt zu.
»Wir andern Mädels hatten das natürlich nicht so richtig gern; wir wehrten uns mit Spott dagegen – das konnte sie überhaupt nicht ertragen. Wenn sie irgendwo auftauchte, schauten wir uns an, grinsten und summten, mit spöttischen Blicken auf die verzauberten Knaben, ›Alle meine Entlein‹. Und sie kriegte nie raus, warum.« Tante Kunigunde saß nachdenklich eine Weile da und fingerte an ihren Haaren. Plötzlich kicherte sie, ein befremdliches, unfrohes Kichern. »Ich entbehre des Senfs«, murmelte sie, »ich entbehre des Senfs. Die dumme Pute! Ich entbehre des Senfs. Weißt du, das war auch so etwas. Sie war ein Flüchtlingskind und hat ständig versucht, so zu reden wie wir, so wie ihrer Meinung nach die feineren Leute reden.« Tante Kunigunde sprach es wie »foinere Loite« aus. »Und einmal im Tennisclub – also, sie stand im Gang um die Ecke und konnte uns hören, aber nicht sehen. Da unterhielt ich mich mit meiner Freundin ganz laut darüber, dass man jemanden, der wirklich etwas Besseres sei, daran erkenne, dass er den Genitiv gebrauche, den ›feinen Genitiv‹, sagte ich.« Tante Kunigunde schüttelte nachdenklich den Kopf. »Gemein eigentlich. Aber damals … weißt du, sie ist uns so schrecklich auf die Nerven gegangen.«
Tanja sah sie immer noch mit großen Augen verwundert an.
Tante Kunigunde seufzte und sagte betreten: »Ja, so kam es zu dieser Picknickgeschichte. Wir waren damals im Tennisclub eine fest verschworene Clique. Ich war die Älteste, so ein bisschen die Mutter der Kompanie, die immer alles organisiert und dafür gesorgt hat, dass genügend zu essen und zu trinken da war bei den Ausflügen und so etwas. Was haben wir nicht alles unternommen! Nicht nur Tennis gespielt und Turniere veranstaltet, nein, wir haben auch sonst dauernd beieinander gesteckt, immer so fünfzehn, achtzehn Leute. Wir haben Wanderungen gemacht, im Heu geschlafen, sind tanzen gegangen und schwimmen, im Schwimmverein, ach, es war eine schöne Zeit.« Tante Kunigunde seufzte wieder. »Die Stars waren die Rothammers, Arthur und seine Schwester Karla. Sie waren so etwas wie die Anführer der Gruppe. Alle wollten immer mit ihnen zusammen sein, und wenn sie mal nicht dabei waren, dann fehlte dem Ganzen der … Glanz, ja, der Glanz. Sie waren wirklich toll, groß und schlank und sehr sportlich, alle beide, gingen bergsteigen und Ski fahren, schwammen wie die Fische, waren natürlich im Schulsport immer an der Spitze, und Arthur hatte als Erster ein Auto und fuhr damit wie ein Wilder durch die Gegend. Später ist er dann Rennen gefahren. Das hat Karla nicht mitgemacht, im Gegenteil, sie mochte es gar nicht, wenn er so schnell fuhr. Aber sonst waren sie ein Herz und eine Seele, haben alles gemeinsam unternommen und organisiert. Ach, diese Feste in ihrem Haus am Nonnengraben! Wir haben uns immer wieder was Neues ausgedacht. Einmal haben wir zum Beispiel einen ›Weiß-Ball‹ veranstaltet, überall weiße Luftballons und weiße Tücher, und alle mussten ganz weiß angezogen sein, und jeder hatte nur einen Farbfleck frei, eine Blume oder ein Tuch oder so. Schön sah das aus mit all den Kerzen. Damals lebte ihr Vater noch, der alte Herr Rothammer, ein reizender Herr, weltfremd, aber ganz lieb.«
Tante Kunigunde machte eine kleine Pause und runzelte die Stirn. »In dem Jahr des ominösen Picknicks, ich weiß nicht mehr so genau, es muss so etwa 1959 oder ’60 gewesen sein, waren Arthur und Karla zum
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