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Das Haus am Nonnengraben

Titel: Das Haus am Nonnengraben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Degen
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Flucht zu verhelfen. Wie konnte sie nur? Die Enttäuschung schmerzte wie ein großer blauer Fleck, und die Eifersucht bohrte. Die Pizza, die Luigi noch liebevoll mit frischem Basilikum belegt hatte, lag wie ein Klumpen in seinem Magen, und das kam nicht daher, dass sie aufgewärmt war.
    Ihm war klar, dass er diesen Fall abgeben musste. Er war »persönlich beteiligt«, um es mal vorsichtig zu sagen. Aber er war nun einmal der für Tötungsdelikte zuständige Staatsanwalt. Und wie sollte er die Bitte um Übernahme durch einen anderen Kollegen denn begründen? »Ich möchte den Fall abgeben, weil ich mich vielleicht in eine der Zeuginnen verlieben werde«? Er hatte ja noch nicht einmal den Anfang einer Beziehung mit dieser Dame, und so, wie sie sich verhielt, würde aus diesem Nicht-Anfang auch nie eine werden. Und außerdem hatte er sich doch im Griff. Persönliche Gefühle waren die eine Seite, berufliche Dinge die andere. Er würde seine Ermittlungen objektiv und sachlich korrekt durchführen wie immer.
    Nachdem er den Wein bezahlt hatte – Luigi weigerte sich, etwas für die Pizza zu nehmen –, kehrte Benno mürrisch und lustlos an seinen Schreibtisch zurück. Natürlich hatte der Wachtmeister während seiner Abwesenheit einen Stapel Akten gebracht, die sofort, umgehend, am besten schon vorgestern, bearbeitet werden mussten.
    Er rief Hanna an. »Ich muss mit dir reden. Kann ich in zwei Stunden bei dir vorbeikommen?« Natürlich hätte das auch Werner Sinz oder der von ihm eingeteilte zuständige Sachbearbeiter übernehmen können – eigentlich war das deren Job –, aber Benno wollte es selbst machen. So eine lausige Lügnerin würde leicht zu knacken sein. Er musste ihre erste Reaktion beobachten. Er wollte ihr Gesicht sehen, wenn er sie mit ihren Lügen konfrontierte, wollte wissen, wie sie sich herauszuwinden versuchte. Das war entscheidend, das konnte er keinem anderen überlassen. Mit glühendem Pflichteifer übertönte er die warnende Stimme aus dem Off.
    Zu seinem Erstaunen klang Hanna erfreut. »Gut«, sagte sie, »in zwei Stunden. Da kann ich noch schnell meinen Artikel fertig machen, dann habe ich Zeit für dich.«
    Benno schluckte. Zeit! Sie hatte, verdammt noch mal, für eine Vernehmung Zeit zu haben. Sie sollte eingeschüchtert sein, zumindest verlegen und nicht …
    »Ich wohne in Klein-Venedig, aber du musst dazu von der Kapuzinerstraße aus –«
    »Ich weiß«, unterbrach Benno sie. »Bis dann.« Er legte auf. Natürlich wusste er, wo sie wohnte. Er hatte damals, als er nach der Party von Werner ihren Namen erfuhr, sofort im Telefonbuch nachgesehen. In den vergangenen sechzehn Tagen hatte er immer mal wieder vom anderen Ufer der Regnitz, vom Leinritt aus, zu dem kleinen barocken Häuschen hinübergeschaut. Eigentlich war es ja eine »Bausünde«, hockte in der ziemlich einheitlichen Reihe der fleißigen alten Fischerhäuser wie der kleine Schwan in der Schar der Enten. Nur dass es kein »hässliches Entlein« war, im Gegenteil: Mit seinem geschwungenen Dach und den zierlichen Fenstern sah es zum Liebhaben aus. Benno wäre zu gern »zufällig« an ihrem Haus vorbeispaziert, um Hanna ganz »zufällig« treffen zu können. Aber die schmale Seitengasse führte lediglich zum Tor ihres Grundstücks und zwei anderen Hauseingängen. Diese konnte man nur gezielt ansteuern. Und genau das würde er jetzt tun.

8
    Hanna wunderte sich. Sie hatte erwartet, dass Benno sie zu einem weiteren Gespräch in die Staatsanwaltschaft vorladen oder die Polizei sie zur Abgabe ihrer Fingerabdrücke auffordern würde. Und nun kam er zu ihr. Was bedeutete das? Und warum hatte seine Stimme so unfreundlich geklungen, so ganz ohne Flirt mit Schlapphut? Seltsamerweise freute sie sich auf den Besuch. Wahrscheinlich lag das daran, dass sie ihm endlich die Wahrheit sagen konnte. Sie schaute auf die Uhr. Das würde knapp werden: den Artikel fertig schreiben und zur Redaktion mailen, die Wohnung aufräumen – ja, das war eindeutig vonnöten –, und umziehen musste sie sich auch noch. Es konnte wohl auch nicht schaden, etwas zu trinken bereitzustellen. Was war das nur für ein Tag! Irgendwie hatte er am Telefon wirklich seltsam geklungen. Aber vielleicht war ja noch jemand im Zimmer gewesen oder er hatte sich über etwas geärgert.
     
    Er hatte sich geärgert, und der Ärger hatte mit ihr zu tun, das erkannte Hanna gleich, als Benno das Hoftor öffnete. Er schien von einer finsteren Wolke umgeben, die über den Hof auf sie zukam.

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