Das Haus am Nonnengraben
Arthur mit seiner Großmannssucht. Und dann ist er eines Tages mit seinem Auto zu schnell gefahren, und ein Brückenpfeiler stand im Weg. Er war sofort tot.« Tante Kunigunde presste die Lippen zusammen und schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Und Elfi?«, fragte Hanna und trank den letzten Schluck von ihrem Wein.
»Elfi wurde immer wunderlicher. Sie blieb allein im Haus am Nonnengraben. Nach Arthurs Tod hat sich eigentlich keiner mehr um sie gekümmert, ihre tollen neuen Freunde kannten sie bald nicht mehr. Ich habe sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen. Es ist sicher gut fünf Jahre her, da traf ich sie mal beim Einkaufen. Ich habe sie fast nicht erkannt, so verändert war sie. Schrecklich!«
Tanja sagte ganz leise: »Die arme Frau! Sie hat nirgendwo dazu gepasst.«
Tante Kunigunde sah verlegen aus. Sie räusperte sich und stand auf. »Wenn du noch mehr über die Rothammers wissen willst, solltest du Anneliese Kurt fragen. Sie war jahrzehntelang Dienstmädchen bei den Rothammers, bis Elfi sie entlassen hat. Sie wohnt jetzt im Arbeiterwohlfahrt-Altersheim. Ich habe sie dort einmal besucht. Sag ihr einen schönen Gruß von mir. Ich mag sie gern. Das ist eine Frau mit dem Herzen auf dem rechten Fleck.«
Hanna trug die gestapelten Teller zum Spülbecken, ließ Wasser einlaufen und begann abwesend auf dem obersten Teller herumzureiben. Sie war noch ganz in der Geschichte gefangen.
»Lass nur, Kind.« Tante Kunigunde brachte den Rest des Geschirrs. »Wir machen das schon.« Sie schaute Tanja auffordernd an.
»Ja. Klar.« Tanja nickte.
»Danke, Tante Kunigunde«, sagte Hanna, »für die Schinkennudeln und die Geschichte und alles. Ich sollte mich jetzt wirklich an meinen Artikel machen, sonst kriege ich den nicht rechtzeitig fertig.«
Von der Oberen Brücke brauchte Hanna nicht mehr als drei Minuten bis zu ihrem Häuschen in Klein-Venedig. Vor sechs Jahren war ihr Vater überraschend an einem Herzinfarkt gestorben. Er hatte ihr eine große wunde Stelle in ihrer Seele, ein Paket gut angelegter Papiere, das knapp ihren Lebensunterhalt sicherte, und dieses kleine Haus aus Familienbesitz hinterlassen. Ein Haus in der malerischen Zeile der Fischer- und Schifferhäuser, die ein romantischer bayerischer König einmal Klein-Venedig getauft hatte, gehörte inzwischen zu den begehrtesten Immobilien in Bamberg, und Hanna hatte schon diverse lukrative Angebote dafür bekommen. Aber sie hatte nicht die Absicht, das Haus zu verkaufen. Es war genau das Richtige für ihre Bedürfnisse, gerade ausreichend für Büro und Wohnung, und sie fühlte sich äußerst wohl darin.
Sie ging in ihr Wohn- und Arbeitszimmer im unteren Stockwerk und setzte sich gleich an den Computer. »Das Aschenputtel am Nonnengraben«, sollte die Überschrift heißen. »Jeder Bamberger ist bestimmt schon oft an diesem Haus vorbeigefahren und hat sich vielleicht über seinen schlechten Zustand gewundert. Wenigen wird die interessante Architektur aufgefallen sein.« Nein, das musste sie umformulieren, sonst fühlten sich die Leser, denen nichts aufgefallen war, vielleicht brüskiert. »Was hat es mit diesem ungewöhnlichen Haus auf sich? In seinen Grundmauern steckt eines der ältesten Häuser auf der ganzen Geyerswörth-Insel. Auf dieser Insel hatten die Geyers, eine der großen und reichen Patrizierfamilien Bambergs, ihre Stadtburg. Doch nach den für die Bürger und ihre Geschäfte negativ verlaufenden Aufständen im 15. Jahrhundert verließen sie Bamberg und verkauften ihren Ansitz dem Bischof, der ihn sich kostbar zum fürstlichen Hof umbauen ließ. Zum Geyerswörth-Schloss gehörte ein großer Garten im Renaissancestil, und für reisende adelige Kavaliere war es unerlässlich, diesem Garten einen Besuch abzustatten. Besonders berühmt waren die Wasserspiele, gespeist von einem Wasserarm zwischen der Regnitz und einem alten Flussarm, der ›Nonnengraben‹ genannt wurde, seit die Klarissinnen daneben ihr Kloster errichtet hatten. Zuständig für den Garten und die Wassertechnik war der Hofgärtner, der als Wohnung die ›Eulenburg‹ zugewiesen bekam …« Hier fügte sie ihre Notizen ein und schmückte sie ein bisschen aus. Sie war ganz zufrieden mit sich.
Schreiben tut gut, dachte sie. Die Suche nach dem passenden Ausdruck, der Kick, wenn das Wort mit den richtigen Ober- und Untertönen, die die erhofften Assoziationen auslösten, gefunden war, die Beglückung, wenn eine Melodie sich einstellte, ein Hauch von Gesang.
Der Schock, in den die
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