Das Haus Am Potomac
einzuschlafen. Denk an etwas Erfreuliches, sagte sie zu
sich selbst, während sie sich ruhelos hin und her warf.
Dann lächelte sie ironisch in der Dunkelheit. Ihr war Sam
eingefallen.
Die Büros und das Fernsehstudio des Potomac Cable
Network lagen ganz in der Nähe des Farragut Square. Als
sie das Haus betrat, dachte sie daran, was der Leiter der
Nachrichtenabteilung in Boston zu ihr gesagt hatte:
»Da gibt es gar keine Frage, Sie sollten den Job
annehmen, Pat. Für Luther Pelham zu arbeiten ist eine
Chance, wie sie sich einem nur einmal im Leben bietet.
Als er von CBS zu Potomac ging, hat es in der ganzen
Branche einen Mordswirbel gegeben.«
Als sie mit Luther in Boston essen gegangen war, hatte
es sie erstaunt, wie offen alle im Restaurant
herübergestarrt hatten. Sie war es bereits gewohnt, daß
Leute aus Boston und Umgebung sie erkannten und zu ihr
an den Tisch kamen, um sich ein Autogramm geben zu
lassen. Aber wie einfach alle Augenpaare wie gebannt auf
Luther Pelham gerichtet waren, das war etwas anderes.
»Können Sie überhaupt irgendwohin gehen, ohne im
Mittelpunkt des Interesses zu stehen?« hatte sie ihn
gefragt.
»Viele Orte gibt es nicht, glücklicherweise. Aber das
werden Sie bald aus persönlicher Erfahrung kennen. In
sechs Monaten wird man Ihnen nachlaufen, wenn Sie über
die Straße gehen, und die Hälfte aller jungen Frauen
Amerikas wird versuchen, Ihre heisere Stimme
nachzuahmen.«
Das war natürlich übertrieben, aber es schmeichelte ihr
selbstverständlich. Nachdem sie ihn das zweite Mal mit
»Mr. Pelham« angeredet hatte, hatte er gesagt: »Pat, Sie
gehören jetzt zum Team. Ich habe einen Vornamen.
Benutzen Sie den.«
Luther Pelham war zweifellos sehr charmant gewesen,
aber bei der Gelegenheit hatte er ihr einen Posten
angeboten. Jetzt war er ihr Vorgesetzter.
Als sie angemeldet war, kam Luther selbst zum
Empfang, um sie willkommen zu heißen. Er war
überschwenglich freundlich, seine ihre vertraute
wohlmodulierte Stimme verströmte Herzlichkeit und
Wärme.
»Großartig, daß Sie da sind, Pat. Ich möchte Sie mit
unserer Truppe bekanntmachen.« Er führte sie durch den
Nachrichtenraum und stellte sie vor. Hinter den
Höflichkeiten ihrer neuen Kollegen spürte sie Neugier und
spekulative Überlegungen. Sie konnte sich denken, was
für Erwägungen das waren. Würde sie die an sie gestellten
Erwartungen erfüllen? Aber ihr gefielen die ersten
Eindrücke. Potomac war auf dem Wege, sich rasch zum
größten Kabelfernsehsender des ganzen Landes zu
entwickeln, und in dem Nachrichtenraum surrte es von
emsiger Tätigkeit. Eine junge Frau verlas live an ihrem
Schreibtisch die stündlichen schlagzeilenartigen
Meldungen; ein Militärexperte zeichnete seinen
zweiwöchigen Bericht auf; Redakteure selektierten und
überarbeiteten Texte der Nachrichtensender und machten
sie sendefertig. Sie wußte sehr gut, daß die scheinbare
Ruhe des Personals nach außen hin ein notwendiges Muß
war. Denn jeder in der Branche lebte ständig unter
Spannung, immer wachsam, in Erwartung, daß etwas
geschah, in Furcht, auf diese oder jene Weise eine große
Story zu verpatzen.
Luther hatte schon seine Zustimmung gegeben, daß sie
zu Hause Texte schreiben, werten und auswählen konnte,
bis alles fertig zur Aufnahme war. Er zeigte ihr die Nische,
die man für sie reserviert hatte. Dann führte er sie in sein
Privatbüro, ein großes eichengetäfeltes Eckzimmer.
»Machen Sie es sich bequem, Pat«, forderte er sie auf.
»Ich muß einen Anruf beantworten.«
Während er telefonierte, hatte Pat Gelegenheit, ihn sich
genauer anzusehen. Er war zweifellos ein beeindruckender
und gutaussehender Mann. Sein dichtes, sorgfältig
frisiertes steingraues Haar kontrastierte mit seiner
jugendlichen Haut und seinen forschen dunklen Augen.
Sie wußte, daß er vor kurzem sechzig geworden war. In
allen Gazetten war über die Party berichtet worden, die
seine Frau auf ihrem Chevy Chase Estate gegeben hatte.
Mit seiner Hakennase und den langfingerigen Händen, die
ungeduldig auf den Schreibtisch trommelten, erinnerte er
sie an einen Adler.
Er legte auf. »Habe ich die Prüfung bestanden?« Seine
Augen blickten amüsiert.
»Mit Glanz und Gloria.« Woher kam es, fragte sie sich,
daß sie sich in beruflichen Situationen immer locker und
entspannt fühlte, in persönlichen Beziehungen aber oft
Befangenheit empfand?
»Freut mich zu hören. Wenn Sie mich nicht taxieren
Weitere Kostenlose Bücher