Das Haus Am Potomac
beendet. Offenbar
hatte es einen Empfang gegeben, als er sie nach Virginia
brachte.
Der Film begann mit einer Bilderfolge von einer
festlichen Garten-Party. Vor dem baumüberschatteten
Hintergrund waren hinter bunten Sonnenschirmen Tische
aufgebaut. Bedienstete liefen zwischen Gruppen von
Gästen herum – Frauen in sommerlichen langen Kleidern
und mit breitkrempigen Hüten, Herren in dunklen Jacken
und weißen Flanellhosen.
Oben auf der Terrasse stand die atemberaubende junge
Abigail in einem weißen tunikaartigen Seidengewand
neben einem gelehrtenhaft wirkenden jungen Mann.
Rechts von Abigail in der Empfangsreihe stand eine ältere
Frau, offenbar Willard Jennings’ Mutter. Ihr
aristokratisches Gesicht war streng und ärgerlich
gerunzelt. Als die Gäste langsam an ihnen vorbeizogen,
machte sie Abigail mit ihnen bekannt. Nicht einmal
blickte sie Abigail dabei direkt an.
Was hatte die Senatorin ihr noch erzählt? »Für meine
Schwiegermutter war ich immer eine Yankee-Frau, die ihr
den Sohn gestohlen hat.« Abigail hatte offensichtlich nicht
übertrieben.
Pat sah sich Willard Jennings an. Er war nur wenig
größer als Abigail, hatte sandfarbenes Haar und ein
schmales, freundliches Gesicht. Er hatte etwas ganz
reizend Schüchternes an sich, etwas Befangenes, so wie er
Hände schüttelte und Küßchen auf Wangen gab.
Unter den dreien war Abigail anscheinend die einzige,
die sich völlig wohl fühlte. Sie lächelte ständig, beugte
den Kopf vor, als bemühte sie sich sehr, sich Namen
einzuprägen, und streckte ihre Hand aus, um ihre Ringe zu
zeigen.
Wenn das doch nur ein Tonfilm wäre, dachte Pat.
Der letzte Gast war begrüßt. Pat sah, wie Abigail und
Willard sich einander zuwandten. Willards Mutter blickte
starr geradeaus. Ihr Gesicht wirkte nun eher nachdenklich
als zornig.
Und dann lächelte sie herzlich. Ein großer Mann mit
kastanienbraunem Haar trat an sie heran. Er umarmte
Mrs. Jennings, ließ sie los und umarmte sie dann noch
einmal, dann wandte er sich um, um die Neuvermählten zu
begrüßen. Pat beugte sich vor. Als das Gesicht des
Mannes voll ins Bild kam, hielt sie den Projektor an.
Der Nachzügler war ihr Vater, Dean Adams. Er sieht so
jung aus! dachte sie. Er kann nicht älter als dreißig sein!
Sie schluckte in dem Bemühen, den Kloß in ihrem Hals
loszuwerden. Hatte sie noch eine vage Erinnerung daran,
daß er so aussah? Mit seinen kräftigen Schultern füllte er
die ganze Breite der Leinwand aus. Er sah wie ein schöner
junger Gott aus, fand sie, wie er da Willard überragte und
eine magnetische Anziehungskraft ausstrahlte.
Sie betrachtete sein Gesicht, studierte die auf der
Leinwand in der Bewegung erstarrten Gesichtszüge, die
sich offen zu einer eingehenden Prüfung darboten. Sie
fragte sich, wo ihre Mutter sein mochte, dann fiel ihr ein,
daß ihre Mutter zum Zeitpunkt dieser Aufnahmen noch am
Konservatorium in Boston studierte, eine Karriere als
Musikerin vor Augen.
Dean Adams war damals frisch gewählter
Kongreßabgeordneter von Wisconsin. Er hatte das
gesunde, offene Aussehen eines Bewohners des
Mittelwestens, etwas übermäßig Naturverbundenes.
Sie drückte auf den Knopf, und die Gestalten erwachten
wieder zum Leben – Dean Adams scherzte mit Willard
Jennings, Abigail streckte ihm die Hand entgegen. Er
ignorierte diese und küßte sie auf die Wange. Was immer
er zu Willard sagte, sie brachen alle in Gelächter aus.
Die Kamera folgte ihnen, wie sie die Steinstufen der
Terrasse hinunterstiegen und sich unter die Gäste
mischten. Dean Adams hatte die alte Mrs. Jennings
untergehakt. Sie unterhielt sich angeregt mit ihm.
Offensichtlich mochten sie einander sehr.
Als der Film zu Ende war, ließ Pat ihn noch einmal
laufen und notierte sich, welche Ausschnitte sie vielleicht
in der Sendung verwenden wollte. Willard und Abigail,
wie sie den Kuchen anschnitten, einander zuprosteten, den
ersten Tanz tanzten. Von den ganzen Empfangsszenen
konnte sie nichts verwenden – der Ausdruck von
Mißfallen im Gesicht der älteren Mrs. Jennings war zu
augenfällig. Und die Filmsequenzen mit Dean Adams
konnte sie natürlich auch nicht nehmen.
Was mochte Abigail an jenem Nachmittag empfunden
haben? fragte sie sich. Dies schöne weißgetünchte
herrschaftliche Backsteinhaus, diese Versammlung der
feinen und vermögenden Leute Virginias, und das nur
wenige Jahre, nachdem sie aus der Dienstbotenwohnung
im Haus der Saunders’ in Apple Junction
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