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Das Haus Am Potomac

Das Haus Am Potomac

Titel: Das Haus Am Potomac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
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Kongreßabgeordneten war offensichtlich
gramgebeugt. Als man ihr aus der Limousine half, fiel ihr
Blick auf den mit einer Flagge geschmückten Sarg. Sie
schlug die Hände zusammen und schüttelte den Kopf, als
ob sie das Geschehene nicht begreifen könne. Pat sah, wie
ihr Vater seinen Arm unter Mrs. Jennings’ Ellbogen schob
und ihre Hand mit seiner umklammerte. Die Prozession
zog langsam in die Kathedrale ein.
Sie hatte so viel gesehen, wie sie an einem Abend
aufnehmen konnte. Menschlich ansprechendes Material,
nach dem sie gesucht hatte, war in den alten Filmen
reichlich vorhanden. Sie löschte das Licht in der
Bibliothek und ging in den Flur.
Im Flur zog es. In der Bibliothek war kein Fenster offen
gewesen. Sie sah im Eßzimmer nach, in der Küche und im
Foyer. Alles war zu und verriegelt.
Aber es zog.
Eine unheilvolle Ahnung beschlich Pat und
beschleunigte ihren Atem. Die Tür zum Wohnzimmer war
zu. Sie legte ihre Hand darauf.
Der Spalt zwischen der Tür und dem Rahmen war
eiskalt. Zögernd öffnete sie die Tür. Ein kalter Windhauch
schlug ihr entgegen. Sie langte nach dem Schalter für den
Kronleuchter.
Die Terrassentüren standen offen. Eine Glasscheibe, die
aus dem Rahmen herausgeschnitten war, lag auf dem
Teppich.
Und dann sah sie es.
Gegen den Kamin gelehnt saß mit verdreht
untergeschlagenem rechten Bein und blutgetränkter
weißer Schürze eine Raggedy Ann Puppe. Pat starrte sie,
auf die Knie gesunken, an. Jemand hatte mit geschickter
Hand den gestickten Mund mit nach unten gezogenen
Mundwinkeln übermalt, Tränen auf die Wangen getupft
und Falten auf die Stirn gezeichnet, so daß das typische
fröhliche Raggedy Ann -Gesicht schmerzentstellt wirkte.
Sie fuhr sich mit der Hand an den Mund, um einen
Schrei zu unterdrücken. Wer hatte das gemacht? Warum?
Halb versteckt unter der beschmutzten Schürze war ein
Blatt Papier an das Puppenkleid gesteckt. Sie griff danach,
zuckte mit den Fingern zurück, als sie das verkrustete Blut
berührte. Dasselbe billige Schreibpapier wie bei dem
letzten Drohbrief, dieselbe schräge Schrift. Das ist die
letzte Warnung. Es darf keine Sendung geben, die Abigail
Jennings verherrlicht.
Ein knarrendes Geräusch. Eine der Terrassentüren
bewegte sich. War da jemand? Pat sprang auf. Aber es war
nur der Wind, der die Tür hin und her bewegte. Sie rannte
durchs Zimmer, schlug die Tür zu und verriegelte sie.
Aber das war sinnlos. Die Hand, die die Scheibe
herausgeschnitten hatte, konnte durch den leeren Rahmen
fassen, die Tür wieder öffnen. Vielleicht war der
Eindringling noch da, hielt sich im Garten hinter den
immergrünen Sträuchern versteckt.
Sie wählte mit zittriger Hand die Notrufhummer der
Polizei. Die Stimme des Beamten klang beruhigend. »Wir
schicken Ihnen sofort einen Streifenwagen.«
Während sie wartete, las Pat die Drohung noch einmal
durch. Dies war das vierte Mal, daß man sie gewarnt hatte,
die Sendung nicht zu machen. In plötzlichem Mißtrauen
fragte sie sich, ob die Drohungen echt waren. War es
möglich, daß sie Teil einer Kampagne »schmutziger
Tricks« waren, um die Dokumentarsendung über die
Senatorin ins Gerede zu bringen, sie mit rüden,
beunruhigenden und aufsehenerregenden Mitteln zu
verunglimpfen? Was war mit der Puppe? Sie hatte sie
erschreckt, wegen der Erinnerungen, die sie
heraufbeschwor, war aber im Grunde nichts weiter als eine Raggedy Ann -Puppe mit grell übermaltem Gesicht. Bei
näherer Betrachtung wirkte sie eher grotesk als
erschreckend. Selbst die blutgetränkte Schürze war
vielleicht nur ein plumper Einschüchterungsversuch.
Wenn ich ein Reporter wäre, der über diese Sache zu
berichten hätte, würde ich dafür sorgen, daß morgen ein
Bild davon auf der ersten Seite prangt, dachte sie.
Das Geheul der Polizeisirene brachte sie zu einem
Entschluß. Sie machte schnell den Zettel los und legte ihn
auf den Kaminsims. Dann hastete sie in die Bibliothek,
zerrte den Karton unter dem Tisch hervor und warf die
Puppe hinein. Die gräßliche Schürze verursachte ihr
Übelkeit. Es klingelte an der Tür – ununterbrochen,
hartnäckig. Impulsiv band sie die Schürze los, zerrte sie ab
und vergrub sie tief unten im Karton. Ohne sie wirkte die
Puppe wie ein Kind, das sich weh getan hatte.
Sie schob den Karton wieder unter den Tisch und lief
los, um die Polizisten hereinzulassen.

12
    In der Einfahrt standen zwei Polizeiwagen mit flackernden
Blinklichtern. Ein dritter Wagen war

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