Das Haus Am Potomac
Willkommensbeweis. Sie werden dich auf dem Hill noch
zum Vorsitzenden des Begrüßungskomitees ernennen.«
Er lächelte kurz, und für diesen Moment verschwand der
besorgte Ausdruck in seinen Augen. »Meine Mutter hat
mir beigebracht, den hübschesten Mädchen in der Stadt
gegenüber charmant zu sein.« Er nahm ihre Hände in
seine. Einen Augenblick lang verharrten sie schweigend;
dann beugte er sich herab und küßte sie auf die Wange.
»Ich bin froh, daß du nicht eine Seite bevorzugst«,
murmelte sie.
»Wie bitte?«
»Neulich hast du mich unter dem rechten Auge geküßt –
heute unter dem linken.«
»Gute Nacht, Pat. Schließ die Tür ab.«
Pat war kaum in der Bibliothek angelangt, als das Telefon
hartnäckig zu läuten begann. Einen Augenblick lang hatte
sie Angst, dran zu gehen.
»Pat Traymore.« Ihre Stimme klang in ihren eigenen
Ohren angespannt und heiser.
»Miss Traymore«, sagte eine Frauenstimme. »Ich bin
Lila Thatcher, Ihre Nachbarin von der anderen
Straßenseite. Ich weiß, daß Sie gerade erst nach Hause
gekommen sind, aber wäre es Ihnen möglich, zu mir
herüberzukommen? Ich muß Ihnen etwas Wichtiges
mitteilen.«
Lila Thatcher, dachte Pat. Lila Thatcher. Natürlich. Pas
war die Hellseherin, die mehrere vielgelesene Bücher über
Psi und andere übersinnliche Erscheinungen geschrieben
hatte. Erst vor wenigen Monaten noch war sie groß
gefeiert worden, weil sie geholfen hatte, ein vermißtes
Kind wiederzufinden.
»Ich komme sofort«, erklärte Pat sich widerstrebend
einverstanden. »Aber ich fürchte, ich kann nicht länger als
eine Minute bleiben.«
Während sie in Schlangenlinien über die Straße lief, um
den schlimmsten Schneematsch und Schlamm zu
umgehen, versuchte sie, das Unbehagen zu ignorieren, das
sie empfand.
Sie war sicher, daß sie nicht hören wollte, was Lila
Thatcher ihr zu sagen hatte.
11
Auf Pats Läuten hin öffnete ein Dienstmädchen die Tür
und führte sie ins Wohnzimmer. Pat hatte sich nicht
vorstellen können, was für eine Person sie erwarten
mochte – vielleicht eine Zigeunerin mit Turban; aber die
Frau, die sich zu ihrer Begrüßung erhob, konnte man
einfach als häuslich gemütlich beschreiben. Sie war eine
leicht rundliche, grauhaarige Person mit intelligenten,
leuchtenden Augen und einem freundlichen Lächeln.
»Patricia Traymore«, sagte sie. »Freut mich sehr, Sie
kennenzulernen. Willkommen in Georgetown.« Sie nahm
Pats Hand und betrachtete sie aufmerksam. »Ich weiß, wie
beschäftigt Sie sind mit der Sendung, die Sie vorbereiten.
Ich bin sicher, das ist ein schönes Unterfangen. Wie
kommen Sie mit Luther Pelham zurecht?«
»Ganz gut bisher.«
»Ich hoffe, es bleibt so.« Lila Thatcher trug ihre Brille
an einer langen Silberkette um den Hals. Sie nahm sie
geistesabwesend in die rechte Hand und begann damit
leicht auf ihre linke Handfläche zu klopfen. »Ich habe
selbst nur wenige Minuten Zeit. Ich bin in einer halben
Stunde verabredet, und morgen fliege ich in aller Frühe
nach Kalifornien. Deshalb habe ich beschlossen, Sie
anzurufen. Normalerweise mache ich so etwas nicht. Ich
konnte jedoch nicht vor mir verantworten, zu verreisen,
ohne Sie vorher gewarnt zu haben. Wußten Sie, daß in
dem Haus, das Sie gemietet haben, vor dreiundzwanzig
Jahren ein Mord und Selbstmord begangen wurden?«
»Ja, man hat es mir erzählt.« Die Antwort kam der
Wahrheit am nächsten.
»Beunruhigt Sie das nicht?«
»Mrs. Thatcher, viele Häuser hier in Georgetown
müssen über zweihundert Jahre als sein. Bestimmt sind in
jedem dieser Häuser Menschen gestorben.«
»Das ist nicht dasselbe.« Die ältere Dame redete
schneller, eine Spur nervös. »Mein Mann und ich zogen
ungefähr ein Jahr, bevor sich die Tragödie ereignete, in
dieses Haus. Ich weiß noch, wie ich ihm zum erstenmal
sagte, daß ich in der Atmosphäre um das Adams-Haus
etwas Dunkles spürte. In den Monaten darauf war es so,
daß dies Gefühl mal kam und dann wieder ging, aber
jedesmal, wenn es sich wieder einstellte, war es stärker.
Dean und Renée Adams waren ein sehr attraktives Paar.
Er sah einfach phantastisch aus, war einer dieser
anziehenden Männer, die sofort Aufmerksamkeit erregen.
Renée war anders – ruhig, zurückhaltend, eine sehr
verschlossene junge Frau. Ich hatte das Gefühl, daß es für
sie ganz verkehrt war, mit einem Politiker verheiratet zu
sein, und die Ehe litt unausweichlich darunter. Aber sie
liebte ihren Mann sehr, und
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