Das Haus Am Potomac
darauf, welchen Tribut das
seiner Gesundheit abverlangte.« Als die Gedenkpause
vorüber war, hatte keiner mehr Zweifel daran, daß der
Vizepräsident sein Amt nie mehr ausüben würde. Als er
wieder Platz nahm, lächelte der Präsident Abigail zu. In
diesem Blick lag so etwas wie ein inoffizieller Segen.
»Nun, hast du dich gut amüsiert?« fragte Sam auf dem
Heimweg. »Dieser Bühnenschriftsteller an deinem Tisch
schien sehr von dir angetan zu sein. Du hast drei- oder
viermal mit ihm getanzt, nicht?«
»Während du mit der Senatorin getanzt hast. Sam, war
es nicht eine große Ehre für dich, am Präsidententisch zu
sitzen?«
»Es ist immer eine Ehre, wenn man dort plaziert wird.«
Eine merkwürdige Befangenheit überkam sie. Es kam
Pat auf einmal so vor, als wäre der Abend ein Fehlschlag
gewesen. Was war der wirkliche Grund dafür, daß er ihr
die Einladung besorgt hatte – damit sie in Washington
Leute kennenlernte? Einfach aus einem gewissen Gefühl
heraus, ihr gegenüber eine Verpflichtung zu haben? Ihr
dabei helfen zu müssen, Fuß zu fassen, bevor er sich
wieder aus ihrem Leben zurückzog?
Er wartete, während sie die Tür aufschloß, lehnte aber
ihre Einladung auf einen Schlummertrunk ab. »Ich habe
morgen einen langen Tag vor mir. Ich fliege mit der
Sechs-Uhr-Maschine nach Palm Springs, um die Feiertage
mit Karen und Tom bei seiner Familie zu verbringen.
Fährst du zum Fest nach Concord, Pat?«
Sie wollte ihm nicht sagen, daß Veronica und Charles zu
einer Kreuzfahrt in der Karibik aufgebrochen waren.
»Ich muß dies Jahr zu Weihnachten arbeiten«, sagte sie.
»Dann laß uns später nachfeiern, wenn die Sendung
fertig ist. Und ich gebe dir mein Weihnachtsgeschenk
dann.«
»Ja, prima.« Sie hoffte, daß ihre Stimme ebenso
gleichmütig freundlich klang wie seine. Sie wollte nicht
zeigen, welche innere Leere sie empfand.
»Du hast bezaubernd ausgesehen, Pat. Du wärest
überrascht zu erfahren, wie viele Leute ich entsprechende
Bemerkungen über dich habe machen hören.«
»Ich hoffe, sie waren alle in meinem Alter. Gute Nacht,
Sam.« Sie stieß die Tür auf und ging hinein.
»O verdammt, Pat!« Sam trat ins Foyer und wirbelte sie
zu sich herum. Als er sie an sich zog, glitt ihr die Jacke
von den Schultern.
Ihre Hände legten sich um seinen Hals, berührten mit
den Fingerspitzen seinen Mantelkragen, fanden die kalte
Haut darüber, zwirbelten sein dichtes, welliges Haar. Es
war so, wie sie es in Erinnerung hatte – der leichte,
angenehme Hauch seines Atems, seine Arme zu spüren,
die sie umklammerten, die absolute Gewißheit, daß sie
zusammengehörten. »Oh, mein Geliebter«, flüsterte sie.
»Ich habe ja solche Sehnsucht nach dir gehabt.«
Es war so, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt. Er
richtete sich unwillkürlich auf und trat einen Schritt
zurück. Verwirrt ließ sie die Arme sinken.
»Sam …«
»Pat, ich –, tut mir leid …« Er versuchte ein Lächeln.
»Du bist eben viel zu begehrenswert, als es für dich von
Vorteil ist.«
Eine lange Minute starrten sie einander an. Dann packte
Sam sie an den Schultern. »Glaubst du denn, ich wollte
nicht da wieder anfangen, wo wir damals aufgehört
haben? Aber das kann ich dir nicht antun, Pat. Du bist
jung, und du bist schön. Binnen sechs Monaten kannst du
dir aus einem halben Dutzend Männern einen
herauspicken, der dir das Leben bieten kann, das du
verdient hast. Pat, meine Zeit ist um. Bei der letzten Wahl
hätte ich um ein Haar meinen Sitz verloren. Und weißt du,
was mein Gegenspieler gesagt hat? Es sei höchste Zeit für
frisches Blut! Sam Kingsley sei schon zu lange im Amt.
Er bewege sich in ausgefahrenen Geleisen. Man solle mir
die Ruhe gönnen, die ich brauche.«
»Und du hast das geglaubt?«
»Ich glaube das, weil es wahr ist. Diese letzten
anderthalb Jahre mit Janice haben mich aller Kraft beraubt
– ich bin leer und ausgelaugt. Pat, es fällt mir heute
schwer, in einer strittigen Frage zu einem eigenen
Standpunkt zu finden. Himmel, es ist für mich eine große
Anstrengung, zu entscheiden, welche Krawatte ich tragen
soll. Aber an einer Entscheidung werde ich festhalten. Ich
werde dir nicht noch einmal dein Leben zerstören.«
»Hast du dir jemals Zeit genommen, darüber
nachzudenken, wie sehr du es zerstörst, wenn du nicht
wieder in mein Leben trittst?«
Sie starrten einander unglücklich an. »Das zu glauben
verbietet sich mir einfach, Pat.« Dann war er
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