Das Haus Am Potomac
Junction zu
sprechen, aber er bat Philip, einmal die Mietverhältnisse
des Adams-Hauses zu überprüfen, die ihn beschäftigten.
Er klopfte an die Tür von Abigails Büro. Sie war jetzt
ruhig – zu ruhig. Das hieß, daß sie sich Sorgen machte. Sie
hatte die Abendausgabe der Zeitung vor sich. »Schau dir
das an«, forderte sie ihn auf.
Eine berühmte Washingtoner Klatschspalte begann mit
dem Absatz:
»Spaßvögel auf dem Capitol Hill schließen Wetten ab, wer
die Person ist, die Patricia Traymore mit dem Tode
bedroht hat für den Fall, daß sie weiter an der
Dokumentarsendung über Senatorin Jennings arbeitet. Es
scheint so, als hätte jeder jemand Bestimmten im Sinn. Die
hübsche Senatorin aus Virginia genießt bei ihren Kollegen
den Ruf einer radikalen Perfektionistin.«
Mit wutverzerrtem Gesicht zerknüllte Abigail Jennings
unter Tobys Augen die Zeitung und warf sie in den
Papierkorb.
14
Sam Kingsley machte den zweiten Manschettenknopf an
seinem Frackhemd zu und band sich seine Krawatte um.
Er warf einen Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims in
seinem Schlafzimmer und kam zu dem Schluß, daß er
noch genug Zeit hatte, um einen Scotch mit Soda zu
trinken.
Von seinem Apartment im Watergate-Komplex hatte
man einen herrlichen weiten Blick auf den Potomac. Aus
dem Seitenfenster im Wohnzimmer sah man auf das
Kennedy Center. An manchen Abenden, wenn er erst spät
aus dem Büro nach Hause kam, ging er noch hin und sah
sich den zweiten und dritten Akt einer seiner
Lieblingsopern an.
Nachdem Janice gestorben war, hatte er keinen Grund
mehr gesehen, das große Haus in Chevy Chase zu
behalten. Karen lebte in San Francisco, und sie und ihr
Mann verbrachten ihre Ferien bei Verwandten von ihm in
Palm Springs. Sam hatte Karen überlassen, was sie an
Silber, Nippsachen und Möbeln haben wollte, und alles
übrige zum größten Teil verkauft. Er hatte einen ganz
neuen Anfang machen wollen in der Hoffnung, daß dieses
alles durchdringende Gefühl von Müdigkeit abflauen
würde.
Sam ging mit seinem Glas zum Fenster. Das Potomac
schimmerte im Glanz der Lichter des Apartmentgebäudes
und der Flutlichter des Kennedy Center. Potomac-Fieber.
Er war vom Potomac-Fieber ergriffen. Den meisten
Menschen, die hierherkamen, erging es so. Würde es bei
Pat auch so sein? fragte er sich.
Er war fürchterlich besorgt um sie. Sein Freund beim
FBI, Jack Carlson, hatte ihm rundheraus gesagt: »Erst
bekommt sie einen Anruf, dann einen Brief unter der Tür
hergeschoben, dann wieder einen Anruf, und schließlich
wird bei ihr eingebrochen und ein Drohbrief hinterlassen.
Du kannst dir selbst ausmalen, was das nächste Mal
geschieht.
Wir haben es hier mit einem regelrechten Psychopathen
zu tun, der kurz davor ist, durchzudrehen. Diese schräge
Druckschrift ist ein todsicherer Hinweis – und vergleich
diese beiden Zettel. Sie sind nur im Abstand einiger
weniger Tage geschrieben. Einige Buchstaben auf dem
zweiten Schreiben sind praktisch unleserlich. Die
Spannung in ihm strebt ihrem Explosionspunkt entgegen.
Und aus diesem oder jenem Grund richtet sich seine
Aggression anscheinend gegen deine Pat Traymore.«
Seine Pat Traymore. In den letzten Monaten, bevor
Janice starb, hatte er es geschafft, Pat aus seinen
Gedanken zu verdrängen. Darüber würde er immer froh
sein. Er und Janice hatten es geschafft, in ihrer Beziehung
etwas von der alten Innigkeit zurückzuerlangen. Sie war,
sich seiner Liebe sicher, gestorben.
Danach hatte er sich ausgelaugt gefühlt, erschöpft,
leblos, alt. Zu alt für eine Siebenundzwanzigjährige und
all das, was ein Leben mit ihr beinhalten würde. Er wollte
einfach seine Ruhe.
Dann hatte er gelesen, daß Pat nach Washington komme,
und hatte beschlossen, sie anzurufen und sie zum Essen
einzuladen. Er hatte weder eine Möglichkeit noch das
Verlangen, ihr aus dem Weg zu gehen, und er wollte nicht,
daß ihre erste Begegnung durch die Anwesenheit anderer
belastet würde. Deswegen hatte er sie zum Essen
ausgeführt.
Er hatte sehr schnell gemerkt, daß, was immer zwischen
ihnen gewesen war, nicht erloschen war, sondern immer
noch gärte, bereit, wieder aufzuflackern – und das war es,
was sie wollte.
Aber was wollte er?
»Ich weiß nicht«, sagte Sam laut. Jacks Warnung klang
ihm noch in den Ohren: Angenommen, Pat stieß etwas zu?
Das Haustelefon läutete: »Ihr Wagen steht bereit«,
verkündete ihm der Pförtner.
»Danke. Ich komme gleich runter.«
Sam
Weitere Kostenlose Bücher