Das Haus Am Potomac
Frau mit
einer Einkaufstasche hatte auf einen Stock gestützt auf
dem Bahnsteig gestanden. Er hatte gerade zu ihr
hinübergehen und ihr anbieten wollen, ihr mit der
Einkaufstasche zu helfen, als die Schnellbahn mit Getöse
einfuhr. Die Menschenmenge wogte vorwärts, und ein
junger Bursche, die Arme voller Schulbücher, hätte die
alte Dame beinahe umgerannt, als er sich vordrängte, um
einen Sitzplatz zu ergattern.
Er wußte noch, wie er ihr in den Zug geholfen hatte,
kurz bevor die Türen sich schlossen. »Alles in Ordnung?«
hatte er gefragt.
»Oh, ja. Du lieber Gott, ich fürchtete schon, ich würde
hinfallen. Die jungen Leute sind so unachtsam. Nicht so
wie zu meiner Jugendzeit.«
»Sie sind brutal«, sagte er leise.
Der junge Mann war beim Dupont Circle ausgestiegen
und auf die andere Seite des Bahnsteigs gegangen. Er war
ihm gefolgt und hatte es so eingerichtet, daß er direkt
neben ihm stand, als er sich vor die Menge direkt an den
Rand des Bahnsteigs gestellt hatte. Als der Zug einlief,
hatte er ihn von hinten angerempelt und so am Arm
gestoßen, daß ihm ein Buch wegzurutschen drohte. Der
junge Mann hatte versucht es festzuhalten und dabei das
Gleichgewicht verloren. So war es ein leichtes, ihm einen
Stoß nach vorne zu versetzen. Das Buch und der junge
Mann landeten gleichzeitig auf den Schienen.
Die Zeitung. Ja, da war es, auf Seite drei: NEUNZEHN
JÄHRIGER STUDENT VON METRO GETÖTET. In
dem Bericht wurde es als Unfall bezeichnet. Ein Zeuge
hatte gesehen, wie dem Studenten ein Buch aus den
Armen gerutscht war. Er hatte sich nach vorne gebeugt,
um es wieder aufzufangen, und dabei das Gleichgewicht
verloren.
Die Tasse Kaffee in Arthurs Händen war kalt geworden.
Er wollte sich einen neuen Kaffee machen und dann zur
Arbeit gehen.
In dem Pflegeheim waren so viele alte hilflose
Menschen, die darauf warteten, daß er sich um sie
kümmerte. Er war in Gedanken bei Patricia Traymore
gewesen. Darum war er bei Mrs. Gillespie nicht
vorsichtiger gewesen. Morgen wollte er Glory sagen, daß
er Überstunden machen müßte, und würde noch einmal zu
Patricia Traymores Haus gehen.
Er mußte sich noch einmal Einlaß verschaffen.
Glory wollte ihre Puppe zurückhaben.
Am vierundzwanzigsten brach Pat um zehn Uhr Richtung
Richmond auf. Die Sonne war herausgekommen und
schien hellgolden, aber die Luft war noch sehr kalt. Es
würde ein frostklirrendes Weihnachtsfest werden.
Nachdem sie den Highway verlassen hatte, bog sie
dreimal falsch ab und geriet völlig außer sich vor Wut
über sich selbst. Schließlich fand sie Balsam Place. Es war
eine Straße mit behaglichen mittelgroßen Häusern im
Tudor-Stil. Nummer 22 war größer als die
Nachbargebäude, und davor auf dem Rasen stand auf
einem geschnitzten Schild ANTIQUITÄTEN.
Catherine Graney erwartete sie im Hauseingang. Sie war
um die fünfzig, hatte ein kantiges Gesicht mit
tiefliegenden blauen Augen und einen robusten schlanken
Körper. Ihr ergrauendes Haar war glatt und einfach
geschnitten. Sie schüttelte Pat herzlich die Hand. »Es
kommt mir so vor, als ob ich Sie schon kennen würde. Ich
fahre ziemlich häufig zum Einkaufen nach Neuengland,
und wenn es irgend ging, habe ich mir immer Ihre
Sendung angesehen.«
Das Erdgeschoß diente als Ausstellungsraum. Sessel,
Sofas, Vasen, Lampen, Gemälde, Orientteppiche,
Porzellan und erlesene Gläser, alles mit Schildchen
versehen. Ein Queen-Anne-Glasschrank enthielt zarte
Figurinen. Davor lag ein müder irischer Setter, dessen
dunkelrotes Fell reichlich mit Grau gesprenkelt war, und
schlief.
»Ich wohne oben«, erklärte Mrs. Graney. »Eigentlich ist
das Geschäft geschlossen, aber mich hat eine Frau
angerufen und gefragt, ob sie nicht schnell vorbeischauen
und ein letztes Geschenk kaufen könne. Sie nehmen doch
einen Kaffee, ja?« Pat nahm ihren Mantel ab. Sie schaute
sich um, betrachtete eingehend die Dinge in dem Raum.
»Sie haben hübsche Sachen.«
»Das hoffe ich auch.« Mrs. Graney wirkte erfreut. »Ich
liebe es, Antiquitäten ausfindig zu machen und sie zu
restaurieren. Meine Werkstatt ist in der Garage.« Sie goß
aus einer Sheffieldkanne Kaffee ein und reichte Pat eine
Tasse. »Und es macht mir Vergnügen, mich mit schönen
Dingen zu umgeben. Mit Ihrem kastanienbraunen Haar
und Ihrer goldfarbenen Bluse sehen Sie so aus, als
gehörten Sie auf diese Chippendale-Couch da.«
»Danke.« Pat wurde klar, daß sie diese offenherzige
Frau mochte. Sie hatte
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