Das Haus am stillen See: Mittsommerglück (German Edition)
brauche noch ungefähr eine halbe Stunde. Wirst du es noch so lange aushalten?”
“Was bleibt mir anderes übrig?”, erwiderte Stina mit gespielt gequältem Gesichtsausdruck, während sie in Wahrheit noch immer gegen den Aufruhr der Gefühle ankämpfte. Patrick lachte auf, dann verschwand er in der Küche, während Stina ins Wohnzimmer ging und es sich auf der Couch gemütlich machte.
Erst jetzt ging ihr wirklich auf, dass sie und Patrick völlig für sich waren. Bisher hatten sich Margrit und Harald immer in ihrer Nähe aufgehalten, doch diese würden von dem Besuch bei ihrer Tochter in Arjeplog sicher erst in den frühen Morgenstunden zurückkehren. Zum allerersten Mal seit Stinas Ankunft waren sie tatsächlich allein im Haus.
Der Gedanke daran rief ein seltsames Gefühl in Stina wach. Das Unbehagen, das sie den ganzen Tag über nicht mehr verspürt hatte, kehrte zurück – wenn auch längst nicht mehr so stark wie zuvor. Plötzlich war ihr ziemlich mulmig zumute. Wie würde der Abend verlaufen? Was erwartete Patrick von ihr?
Sie war furchtbar nervös, als er schließlich im Türrahmen stand und erklärte, dass das Dinner angerichtet war. Ein wenig bang folgte sie ihm ins Esszimmer, doch als sie sah, was er innerhalb kürzester Zeit für sie gezaubert hatte, vergaß sie ihre Ängste.
“Patrick, das sieht einfach fantastisch aus!”, stieß sie begeistert hervor. “Hast du das wirklich alles selbst gemacht?”
Ein wenig verlegen senkte er den Blick und nickte. “Es freut mich, dass es dir gefällt. Ich habe mir alle Mühe gegeben, damit dies ein wunderbarer Abend für uns beide wird.”
Das hatte er wirklich. Angefangen bei den Kerzen, die überall im Raum verteilt waren, bis hin zum sorgsam polierten Silberbesteck und den gekonnt gefalteten Stoffservietten war einfach alles perfekt. Ein großer Strauß Rosen – rosa, nicht rot, wie Stina still in sich hineinlächelnd bemerkte – stand auf der Tafel, und der Duft, den die mit silbernen Hauben abgedeckten Teller verströmten, war einfach verführerisch.
“Nimm doch bitte Platz”, sagte Patrick und rückte, ganz Gentleman, Stinas Stuhl zurecht. Nachdem er ihr und auch sich selbst Wein eingeschenkt hatte, setzte auch er sich. “Ich hoffe, es schmeckt dir. Ich habe das Rezept von einem Bekannten von mir. Er ist Chefkoch in einem Nobelrestaurant in Stockholm. Es ist zwar nichts Besonderes, aber …”
“Wenn das Gericht hält, was der Duft verspricht, bin ich sicher, dass es ganz köstlich ist.” Stina lächelte. “Ich sterbe vor Neugier, Patrick. Darf ich endlich nachschauen?”
“Nun, wenn du nicht warten möchtest, bis es kalt ist, würde ich dir das sogar raten”, erwiderte Patrick schmunzelnd.
Stina hob die Haube vom Teller und sie schnappte scharf nach Luft. “Ist das etwa …”
“Sillgratin.”
Patricks Augen leuchteten vor Vergnügen. “Du siehst, es hat auch seine Vorteile, deine Vorlieben zu kennen, ohne dass du dich an mich erinnern kannst. So kann ich dich immer wieder überraschen.”
“Ja, sieht ganz so aus. Sillgratin ist meine absolute Leibspeise. Ich weiß gar nicht, wie lange ich schon nicht mehr …” Sie verstummte, weil ihr aufging, dass sie tatsächlich nicht wissen konnte, wann sie zum letzten Mal einen frisch zubereiteten Heringsauflauf gegessen hatte. Wieder einmal fühlte sie sich von ihrem Gedächtnis im Stich gelassen.
“Ich kann mir schon denken, worüber du gerade nachdenkst”, sagte Patrick leise. “Aber vielleicht solltest du versuchen, die Dinge einfach zu genießen, ohne dir den Kopf über die Vergangenheit zu zerbrechen. Letztlich ist es doch nur die Zukunft, die zählt.”
Stina dachte einen Moment über seine Worte nach und musste zugeben, dass er recht hatte. Lächelnd erhob sie ihr Glas. “Auf die Zukunft.”
Patrick war zufrieden und glücklich über den Verlauf des Abends. Besser hätte es wirklich nicht laufen können. Alles war perfekt, und Stina schien das gemeinsame Dinner tatsächlich zu genießen.
Ihre plötzliche Wandlung verblüffte ihn noch immer. Manchmal hatte er fast das Gefühl, dass sich überhaupt nichts zwischen ihnen verändert hatte. Natürlich wusste er, dass dies ein Trugschluss war, denn es würde noch viel Zeit vergehen, ehe Stina und er wieder in der Lage waren, wie Mann und Frau miteinander umgehen zu können. Aber immerhin hatte er mittlerweile das Gefühl, dass es funktionieren könnte.
Doch die Wahrheit hing noch immer wie ein düsterer Schatten über ihnen.
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