Das Haus am stillen See: Mittsommerglück (German Edition)
gewesen sein könnte. Und doch war es möglich. Woher sollte sie wissen, wie es tatsächlich um ihre Ehe gestanden hatte? Alles, was sie wusste, hatte sie von Patrick – und das war nicht gerade viel.
Er hielt sich, was ihre Vergangenheit betraf, ohnehin sehr bedeckt. Bisher hatte sie angenommen, dass dies aus Rücksicht ihr gegenüber geschah. Aber vielleicht gab es hierfür ja auch ganz andere Gründe.
Stina schloss das Fenster und trat vor den großen Garderobenspiegel ihres Kleiderschranks. Prüfend betrachtete sie ihr Spiegelbild, versuchte dort irgendeine Spur zu entdecken, die ihr einen Hinweis darauf gab, wie ihre jüngere Vergangenheit ausgesehen hatte.
Vergeblich.
Als sie vorhin gemeinsam mit Patrick am Esstisch gesessen, gelacht und gescherzt hatte, war ihr die Vorstellung, dass sie mit ihm irgendwann einmal wieder so etwas wie eine Ehe würde führen können, gar nicht mehr so abwegig erschienen. Doch jetzt …
Ihre Empfindungen ihm gegenüber hatten sich innerhalb kürzester Zeit vollkommen gewandelt. Sie genoss seine Gegenwart, und mehr als einmal hatte sie den Wunsch verspürt, in seinen starken Armen zu liegen. Aber machte sie sich damit nicht vielleicht selbst etwas vor? War es nicht vielmehr das Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit, das sie dazu brachte, in ihm mehr zu sehen als einen Fremden?
Eines stand fest: Sie konnte sich nicht unbefangen auf ihn einlassen, solange sie nicht wusste, wie sie tatsächlich für ihn empfand.
Ein paar Tage später saß Margrit in der Küche und schälte Birnen für ihr berühmtes Birnenkompott, als Stina am Morgen zum Frühstück herunterkam. Sobald sie den Neuankömmling bemerkte, blickte Margrit auf und lächelte. “Hej, Stina, wie geht es dir? Hast du dich schon wieder bei uns eingelebt?”
Eigentlich fand Margrit, dass Patricks Frau alles in allem schon wieder recht ordentlich aussah. Sie wirkte längst nicht mehr so bleich und krank wie am Tag ihrer Ankunft, ihre Wangen hatten eine gesunde Farbe angenommen, und ihr goldenes Haar glänzte seidig. Dennoch machte Stina oftmals, vor allem wenn sie sich unbeobachtet fühlte, einen sehr nachdenklichen, traurigen Eindruck. Genau genommen seit jenem Abend, an dem Harald und sie selbst zu ihrer Tochter nach Arjeplog gefahren waren. Schon am nächsten Morgen hatte sie die Veränderung an der jungen Frau bemerkt, die bereits auf dem besten Wege gewesen zu sein schien, sich mit ihrem Schicksal abzufinden.
Ob zwischen den beiden etwas vorgefallen war?
Es war nicht so, dass Margrit kein Verständnis für die verzwickte Situation aufbringen konnte, in der Stina steckte. Ganz im Gegenteil. Es musste ganz furchtbar sein, eine große Spanne seines Lebens einfach so verloren zu haben. Die gutmütige Schwedin schauderte bei dem Gedanken, sich nicht an ihren geliebten Harald erinnern zu können. Wie würde es ihr dann wohl gehen?
Trotzdem. Irgendetwas schien Stina wie ein Felsbrocken auf der Seele zu liegen. Margrits Instinkt verriet ihr, dass es nicht die Tatsache, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte, allein war, die sie so bedrückte. Was war es bloß, das ihr ein solches Kopfzerbrechen bereitete?
“
Hej
, Margrit.” Mit einem leisen Seufzen ließ Stina sich auf einen der freien Plätze am Küchentisch sinken. “Brauchst du vielleicht Hilfe? Ich bin es wirklich leid, den ganzen Tag untätig herumzusitzen.”
Schweigend reichte die Haushälterin ihr ein Schälmesser. Dann entschloss sie sich zu einem gewagten Vorstoß. “Sag schon, Stina, was ist mit dir los? Seit Tagen läufst du nun schon wie ein Gespenst durch die Gegend.” Sie lachte leise über Stinas verblüfften Gesichtsausdruck. “Du hast wohl gedacht, ich würde es nicht bemerken, was? Aber ich bin eine bessere Beobachterin, als die meisten Menschen es mir zutrauen. Also, möchtest du darüber reden?”
Stina zögerte, und Margrit glaubte schon nicht mehr, dass sie noch etwas sagen würde, als sie plötzlich zu sprechen begann. “Ach, ich weiß nicht, Margrit, es ist alles so verflixt undurchsichtig. Ich wünschte, ich würde mich endlich wieder an die vergangenen Jahre erinnern.”
Tröstend legte die Schwedin ihr die Hand auf den Unterarm. “Lass den Kopf nicht hängen, Stina, das passt nicht zu dir. Ich kann behaupten, dich über die Jahre recht gut kennengelernt zu haben. Du bist kein Mensch, der so beim ersten Anzeichen von Problemen gleich aufgibt.”
“Mir scheint, du kennst mich besser als ich mich selbst”, erwiderte Stina. Ihre
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