Das Haus am stillen See: Mittsommerglück (German Edition)
Augen glänzten feucht. “So viel ist in den letzten Jahren geschehen. Meine Eltern sind gestorben, ich habe Patrick geheiratet und meine Arbeit und meine Wohnung in Stockholm aufgegeben. Dann bin ich mit meinem Ehemann in den tiefsten Norden Schwedens gezogen, und an nichts von alldem kann ich mich erinnern. Aber das Schlimmste ist …” Sie verstummte und machte eine wegwerfende Handbewegung. “Ach, es ist nicht so wichtig. Vergiss einfach, dass ich überhaupt damit angefangen habe.”
“Du kannst ruhig über alles mit mir sprechen, was dir auf dem Herzen liegt. Ich würde dir wirklich gerne helfen, deinen Kummer zu überwinden, aber das kann ich nur, wenn du offen zu mir bist.”
Stina ließ die Schultern hängen. “Kannst du mir sagen, wie es zwischen uns war? Ich meine, zwischen Patrick und mir?”
Margrit blinzelte irritiert. Damit hatte sie nicht gerechnet – dabei war eigentlich abzusehen gewesen, früher oder später mit einer solchen Frage konfrontiert zu werden. Dummerweise geriet sie hierdurch in eine Zwickmühle, denn sie hatte Harald und auch Patrick hoch und heilig versprechen müssen, Stinas Vergangenheit ihr gegenüber mit keinem Wort zu erwähnen. Sie war sicher, dass die beiden nur das Beste für die junge Frau wollten, aber sie war nicht davon überzeugt, dass sie das Richtige taten. Hatte Stina nicht das Recht, über ihr vorheriges Leben Bescheid zu wissen?
“Was genau soll ich dir denn erzählen?”, fragte sie vorsichtig.
“Ich weiß nicht – alles am liebsten.” Stina legte das Schälmesser zur Seite und fuhr sich nervös durch das lange Haar. “Bitte, Margrit, ich muss es einfach erfahren. Immer wieder habe ich diese seltsamen Träume und Erinnerungsblitze. Ich werde noch wahnsinnig, wenn ich nicht bald erfahre, was davon der Wahrheit entspricht und was nicht.”
Margrit horchte auf. “Ich will nicht aufdringlich erscheinen, aber an was glaubst du dich denn zu erinnern?”
Einen Moment zögerte Stina, dann schüttelte sie den Kopf. “Ich kann darüber nicht reden. Noch nicht. Aber es ist sehr verwirrend.”
“Ich verstehe. Nun, alles, was ich sagen kann, ist, dass ihr beide für mich immer ein ganz besonders schönes Paar wart. Soweit ich das beurteilen kann, liebt Patrick dich sehr. Gerade deshalb kann ich auch noch immer nicht verstehen, warum du …” Margrit stockte. Versehentlich hatte sie schon viel mehr ausgeplaudert als eigentlich beabsichtigt.
Stina schien enttäuscht, als sie bemerkte, dass Margrit nicht mehr sagen wollte. “Du willst mir also auch keinen reinen Wein einschenken, nicht wahr?”, schlussfolgerte sie heftiger als beabsichtigt. “Lieber Himmel, ich fühle mich langsam wie ein kleines Kind. Ständig entscheiden andere für mich, und Informationen bekomme ich immer nur in kleinen Häppchen präsentiert.”
“Glaub mir, ich kann mir vorstellen, wie du dich im Moment fühlen musst”, versuchte Margrit, sie zu beruhigen. “Aber versuch doch bitte auch, mich zu verstehen. Es steht mir einfach nicht zu, mich hier einzumischen. Ich kenne Patrick und dich zwar schon seit vielen Jahren, aber letztlich bin ich doch nur eine Angestellte.”
“Du bist weit mehr als das”, widersprach Stina energisch. “Es mag sein, dass ich mein Gedächtnis verloren habe, aber manche Dinge spürt man einfach. Ich weiß, dass du und dein Mann für Patrick eine Art Ersatzfamilie seid, und ich vermute, dass es bei mir ganz ähnlich war. Aber ich kann dich natürlich nicht zwingen, mir von meiner Vergangenheit zu erzählen.”
Unvermittelt sprang Stina von ihrem Stuhl auf und verließ die Küche. Nachdenklich schaute Margrit ihr nach. Das Gespräch hatte ihr noch einmal verdeutlicht, wie sehr die junge Frau sich nach Antworten sehnte. Und sie konnte sie so gut verstehen.
Patrick schien davon überzeugt zu sein, dass Stina noch nicht so weit war, sich der traurigen Realität zu stellen. Doch Margrit fragte sich, ob nicht er es war, der die Augen vor der Realität verschloss.
Sanft rauschte der Wind in den Kronen der Bäume am Ufer. Stina stand am Rande des Bootsstegs und schaute hinaus auf den See, dessen Oberfläche leicht aufgeraut war. Die Sonne stand schon tief am Himmel. Der Sommer war beinahe vorüber, und die Tage wurden bereits kürzer. Ein Hauch aus Kupfer schien über dem Tal zu liegen, verlieh der Umgebung einen sanften, weichen Anstrich.
Es war einfach wunderschön hier draußen, und langsam begann das nagende Gefühl der Enttäuschung, das das Gespräch
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