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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sah sie eigentlich aus, dann war ihr bestimmt klar, daß die Kleine hier draußen im Regen immer noch besser dran war als drinnen im Warmen bei dem bösen, gemeinen, skrupellosen Jorge, der zweifellos nicht alle Tassen im Schrank hatte. Durch den peitschenden Regen und die wogenden Büsche erspähte er Lichter, und vor Schreck blieb ihm beinah das Herz stehen, bis ihm klar wurde, daß es die Fenster des Hauses sein mußten. Die Frauen hatten dort einen vergnüglichen Abend verbracht, gegessen, getrunken und über die unausdenklichen Dinge gelacht, über die Frauen lachen, wenn sie unter sich sind. Dann war Jorge hereingestürmt wie Cromwell und seine Armee in Drogheda, und mit dem Lachen war es vorbei gewesen. Im Haus hatte es gut nach Essen gerochen, und bei der Erinnerung daran merkte Popeye, daß er einen Bärenhunger hatte. Vielleicht konnten sie sich ja mit den Resten des Festmahls den Bauch vollschlagen. Er zupfte Luis am Ärmel und wies gestikulierend erst auf seinen Mund, dann auf das Haus; aber der Kolumbianer schüttelte den Kopf und bog nach rechts zu den Nebengebäuden ab, wo sie den Mercedes und den Lastwagen abgestellt hatten.
    Popeye schüttelte den Kopf über diesen neuerlichen Beweis lateinamerikanischer Beschränktheit und folgte ihm. Ein dickes Sandwich und ein Becher Kaffee, großzügig aufgefüllt mit gutem irischen oder notfalls auch englischem Whisky, konnte ein Mann in einer so grausamen Nacht gut vertragen, das mußte doch sogar Luis kapieren? Hatte der arme Schlucker denn einen solchen Heidenrespekt vor Jorge, daß er glaubte, seine Befehle buchstabengetreu ausführen zu müssen?
    Mißmutig folgte er Luis in die verfallene Scheune, wo der Lastwagen versteckt war, und seine freudlosen Überlegungen nahmen ihn so in Anspruch, daß es eine Weile dauerte, bis er kapierte, daß seine Frage schon beantwortet war. Jorges Befehl war Gesetz.
    Luis stand neben dem Lastwagen, und seine Automatikknarre richtete sich genau auf Popeyes Kopf.
    »Jetzt aber mal langsam«, protestierte der Ire. »Das soll wohl ein Witz sein? Laß die Blödeleien, bringen wir lieber den Laster zum Pavillon runter.«
    »Bleib stehen!« befahl der Cojo.
    »Ich stehe ja schon, ich stehe. Hör zu, wenn es um den Koks geht, vergiß es. Ich wollte dir sowieso gerade einen Vorschlag machen. Das einfachste wäre doch, ich schnappe mir eins der Autos von den Frauen und verschwinde hier. Mehr will ich gar nicht. Ich wäre ja gar nicht hergekommen, wenn Jorge mich nicht aufgespürt und mir die Pistole auf die Brust gesetzt hätte, das weißt du so gut wie ich. Ich bin nur ein einfacher Geschäftsmann, der mal mehr, mal weniger verdient und seine Verluste abschreibt. Den Koks hatte ich schon abgeschrieben, als Jorge mich aufgestöbert hat. Er besitzt eine seltene Überredungsgabe, aber das heißt nicht, daß er immer recht hat. Also, was meinst du? Mach eine Minute die Augen zu, und fort bin ich. Du kannst deinem Boß sagen, daß ich in die Nacht hinausgerannt bin, und eine verrücktere Nacht kann man sich doch kaum wünschen, um abzuhauen?«
    Seine Worte stießen nicht auf taube Ohren, das sah er. Er hatte Luis richtig beurteilt. Wie er selber auch war der Mann kein geborener Killer. Wahrscheinlich war auch er bloß durch Zufall in dieses Gewerbe hineingerutscht, hatte einfach den nächstbesten Weg eingeschlagen, weil keiner der Wege, die ihm offenstanden, besonders verlockend wirkte.
    Er lächelte dem Mann beinahe liebevoll zu und glaubte schon eine Reaktion in seinen Augen zu sehen.
    Dann ertönte ein Geräusch wie ein nicht zu unterdrückendes Husten in der Messe während der Elevation von Hostie und Kelch, und es war, als hätten die rosigen Finger der Morgenröte die Brust des Kolumbianers berührt und sein Herz durchbohrt.
    Er schien sogar zu lächeln, oder vielleicht verzog er auch nur sterbend das Gesicht. Dann seufzte er tief, und Luis Romea, dessen Vater Rinder und schöne Pferde gezüchtet hatte auf den
Llanos
nahe dem Orinoko, der dort in einem mächtigen Bogen dem fernen Atlantik entgegenströmt, Luis Romea, der davon geträumt hatte, den prächtigen Waffenrock und die leuchtenden Tressen eines Armeeoffiziers zu tragen, bis die Schwindsucht seinen linken Lungenflügel befiel, so daß er leichte Beute für die Werber der Cojos wurde, denn für einen jungen Mann schien die Geheimpolizei doch nur ein Zweig des öffentlichen Dienstes zu sein, aber der Dienst, den er tat, bereitete ihm später viele schlaflose Nächte, in denen

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