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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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er mit feuchten Augen wach lag und an einen kleinen Jungen dachte, der auf einem Palomino-Pony durch das hohe Gras der Ebene imaginäre Kavallerieattacken ritt, um belagerten Städten Rettung und Gerechtigkeit zu bringen – dieser Luis Romea, der ein guter Mensch hätte werden können, hörte sein Pony irgendwo in der Nähe wiehern, schloß die Augen und starb.
    Popeye Ducannon wirbelte herum, sah die hagere Gestalt mit dem dünnen Schnurrbart im Ladefenster des Heubodens über ihm und rief: »Bist du das? Ich hab mir gedacht, daß du in der Nähe bist. Warum zum Teufel hast du das getan? Er hätte mit sich reden lassen!«
    »Zu lange brauchtest du. Zudem ist’s einer weniger. Komm jetzt, denn andre nahen schon. Komm fort. Komm fort.«
    Nach einem letzten wehmütigen Blick auf den Toten, der vor dem Lastwagen lag, kletterte Popeye einen Schotterhaufen hinauf und folgte seinem Retter durch das Fenster in die stürmische Dunkelheit.
    Zwei Minuten später war die Geduld der kleinen Truppe, die die Scheune belagerte, erschöpft, und sie beschlossen, die Lage zu erkunden.
    Sempernels Leute, Cynthia und Jacobs, die vorangingen, duckten sich im Tor und leuchteten mit ihren Taschenlampen die finsteren Ecken aus.
    »Scheiße«, sagte Jacobs, als er die Leiche sah. »Gib mir Feuerschutz.«
    Kurze Zeit später kam Cynthia heraus und sagte zu den dreien, die sich gegen die Wand drückten: »Alles klar. Ein Toter. Romea. Keine Spur von Ducannon.«
    Wenn es ein Zeichen von Größe ist, auf jedes Ereignis zu reagieren, als habe man es sowohl vorausgesehen als auch erhofft, dann war Sempernel ein großer Mann.
    »Hervorragend«, sagte er, betrat die Scheune und betrachtete den Erschossenen. »Die Diebe streiten um die Beute. Das kommt uns wunderbar zupaß.«
    Halb wütend, halb verwundert schüttelte Pascoe den Kopf.
    »Das kommt uns wunderbar zupaß«, äffte er ihn nach. »Könnten Sie das mal näher erklären? Nein, sparen Sie sich die Mühe. Andy, wir haben eine verwundete Beamtin, Ellie ist Geisel, und jetzt haben wir auch noch eine Leiche. Ist es nicht an der Zeit, daß wir die Sache selbst in die Hand nehmen, statt auf diesen Idioten hier zu hören?«
    Er meint nicht
uns
, dachte Andy Dalziel, der die Angst und Verzweiflung in Pascoes Stimme wahrnahm, er meint mich. Er will, daß ich ein Kaninchen aus dem Hut zaubere. Nur hab ich in meinen Hut geschaut und nichts gefunden außer Kaninchenscheiße.
    Wenn es nichts Persönliches gewesen wäre, wenn Ellie nicht zu den Geiseln im Pavillon gehört hätte, dann hätte er vermutlich gesagt: »Hör zu, mein Junge, du hast dich doch vor der Arbeit gedrückt und an diesem Kurs über Verhandlungen mit Geiselnehmern teilgenommen. Warum wirfst du nicht mal einen Blick in deine Notizen und sagst uns, was wir jetzt tun sollen?«
    Aber Sarkasmus half jetzt nicht weiter. Dalziel wußte, was er hätte tun sollen. Er hätte irgendwie mit der Einsatzzentrale von Mid-Yorkshire Kontakt aufnehmen und sämtliche verfügbaren Spezialeinheiten auf schnellstem Wege nach Gunnery House beordern müssen. So hätte er jedenfalls vermeiden können, daß diese Geschichte häßliche Flecken auf seiner Weste hinterließ. Aber schon als kleiner Junge hatte er trotz aller Ermahnungen seiner Mutter wenig von Sauberkeit gehalten und nie eingesehen, warum er nach einem Taschentuch greifen sollte, wenn der Ärmel seines Pullovers doch so viel praktischer war.
    Er blieb stehen, hob die Baseballkappe des Toten auf und plazierte sie auf seinem Kopf, wo sie lag wie ein Teekannenwärmer auf dem Ben Nevis.
    »Schön«, sagte er. »Offensichtlich warten sie auf einen Laster. Bringen wir ihnen doch einen. Springt auf die Ladefläche.«
    »Superintendent, das ist Unfug«, erklärte Sempernel. »Ich verbiete es Ihnen.«
    »Und wie wollen Sie es verhindern? Mich erschießen? Pete, kommst du?«
    »Ja, aber nicht auf der Ladefläche«, sagte Pascoe und pflückte dem Dicken die Kappe vom Kopf. »Mich kann man am Steuer leicht für den Kerl hier halten. Du hast dafür einfach nicht die richtige Statur. Tut mir leid.«
    Er wartete die Antwort nicht ab, sondern kletterte ins Führerhaus. Dalziel versuchte gar nicht erst zu widersprechen, sondern klappte die Luke herunter und kletterte mit erstaunlicher Behendigkeit in den Laderaum.
    »Gut«, sagte er. »Steigt noch jemand zu, gleich geht’s rund!«
    Die beiden Agenten blickten auf ihren Boß, der wieder einmal seine Fähigkeit unter Beweis stellte, den Wind zu reiten, selbst

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