Das Haus an der Klippe
anscheinend geht’s jetzt los.«
Die beiden Cojos waren offenbar zu einer Entscheidung gelangt, und Jorge winkte Popeye mit einer gebieterischen Geste herbei.
Als er wegging, flüsterte Daphne Kelly zu: »Ist er wirklich Ihr Onkel?«
»Strenggenommen, nein. Aber wenn sich zwei Iren begegnen, die miteinander ins Geschäft kommen wollen, dann versuchen sie erst einmal rauszukriegen, ob sie miteinander verwandt sind. Und als mein Papa Paddy vor Jahren kennengelernt hat, haben sie festgestellt, daß ihre Urgroßmütter Cousinen zweiten Grades waren oder so ähnlich, und seitdem ist er für mich Onkel Paddy.«
»Also kein Verwandter von Ihnen, Miss Macallum?«
Feenie machte ein Gesicht wie eine christliche Fundamentalistin, die mit dem Darwinismus konfrontiert wird.
»Ich habe zwar nicht viele Verwandte, auf die ich stolz sein kann«, entgegnete sie säuerlich. »Aber wenigstens kann ich mich rühmen, daß Mr. Ducannon nicht zu ihnen gehört.«
»Komm schon, Granny, so übel ist er nicht«, protestierte Kelly.
»Wie kommt es dann, daß er mit diesen Monstern gut Freund ist?«
»Für mich sieht das gar nicht so freundschaftlich aus.«
Da hatte sie recht.
Popeye sagte ihnen offenbar mit Nachdruck die Meinung, konnte aber Jorge und Luis nicht recht überzeugen.
Sie versuchten zwar, in gedämpftem Ton zu sprechen, aber das mit wachsender Erregung geführte Gespräch wurde unweigerlich immer lauter. Bald wurde klar, daß Popeye sein moralisches Anrecht auf das Kokain geltend machte, und nachdem er seine Schuldigkeit getan hatte, hielt er es offenbar für sein gutes Recht, das Weite zu suchen.
Kluger Schachzug, dachte Ellie. Im kleinen roten Buch der Gesetzesübertretung hieß es, daß vor dem Verbrechen die Zeit dein Freund ist, nach dem Verbrechen aber dein Feind. Oder, einfacher ausgedrückt, plane mit Bedacht, und nimm dann die Beine in die Hand.
Es war aber nicht so einfach, die Beine in die Hand zu nehmen, wenn man eine Menge schwerer Kisten aus dem Keller heraufschleppen und in einen Lastwagen verfrachten mußte. Viel leichter ging das mit einem Koffer voll Koks.
Luis wandte ein, Popeye könne ja schließlich nicht zu Fuß gehen, und sie würden mit ihren Fahrzeugen erst aufbrechen, wenn die Waffen eingeladen seien.
Darauf entgegnete Popeye, rund ums Haus seien mindestens drei Autos geparkt, und er sei durchaus in der Lage, eins davon zu nehmen, vielen Dank.
»Nein. Es ist besser, wenn wir zusammenbleiben«, entschied Jorge. »Wir brauchen dich, du mußt uns mit den Kisten helfen. Dann fahren wir alle gemeinsam ab.«
Rein rational gab das Argument zwar nicht viel her, aber Jorges Tonfall machte deutlich, daß die Diskussion für ihn damit beendet war. Und Popeye, der alte Überlebenskünstler, zuckte die Schultern, lächelte und sagte: »Okay. Kein Problem.«
»Bueno!«
rief Jorge mit einem Mal sehr freundlich. »Wir sind hier alle Partner, einverstanden? Warum gehst du nicht mit Luis, und ihr holt den Lastwagen so nah wie möglich ran? Ich fange an, mit diesen zwei starken Männern die Kisten heraufzuholen.«
»Um den Laster zu holen, braucht’s keine zwei Leute«, wandte Popeye ein.
»Zum Fahren nicht, aber der Boden ist matschig, und durch das Wetter wird es noch schlimmer. Vielleicht sollte sicherheitshalber einer vorausgehen. Jetzt steckenzubleiben wäre eine echte Katastrophe, oder?«
»Läßt sich nicht leugnen«, räumte Popeye ein. »Dann gehen wir mal los, Luis.«
Die beiden traten hinaus.
Gleichsam als Signal für ihren Abgang zerriß ein gewaltiger Blitz den östlichen Himmel, und das Fenster schien sich unter dem ersten Regenschwall aufzulösen, den der Wind gegen das Glas peitschte.
Jorge trat an die Scheibe und schaute hinaus, ein Bild wie aus einem alten Horrorfilm, in dem ein verrückter Wissenschaftler versucht, seine Energie direkt aus der Gewalt der Elemente zu ziehen. Als er sich umdrehte, schweifte sein Blick über die am Boden kauernden Frauen, bis er sein Ziel fand. Ellie konnte mühelos feststellen, auf wen er es abgesehen hatte, und auch seine Gedanken zu lesen fiel ihr nicht schwer.
Kelly Cornelius.
Jetzt ist Popeye aus dem Weg. Vielleicht hat er sogar mit Luis abgemacht, den Iren endgültig aus dem Weg zu räumen.
Jetzt würde er sich Kelly vorknöpfen, um den Aufenthaltsort des so schwer zu fassenden Chiquillo herauszubekommen. Und an der Intensität seines Blicks erkannte Ellie, daß ihn bei der Befragung nicht nur Rachsucht beseelen würde, sondern noch ein
Weitere Kostenlose Bücher