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Das Haus an der Klippe

Das Haus an der Klippe

Titel: Das Haus an der Klippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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von jenem Teil. Glück zu haben war nicht übel, aber schon zu Beginn seiner Laufbahn als Freiwilliger hatte er eingesehen, daß in seiner Profession ein Mann, der sich nur auf sein Glück verließ, bald vom Glück verlassen wird. Es konnte jedoch nicht schaden, die Welt in dem Glauben zu lassen, daß er tatsächlich ein Glückskind war, denn das lenkte sie von anderen Möglichkeiten ab.
    Da war zum Beispiel die Frage seiner sprachlichen Fähigkeiten. In Wirklichkeit besaß er ein ausgezeichnetes Ohr für Sprachen und konnte sich auf spanisch ohne Probleme verständigen, aber er sah keinen Grund, die Leute wissen zu lassen, daß er mehr als ein paar Brocken beherrschte – nicht einmal, wenn diese Leute zufällig seine »Nichte« und deren Freund Chiquillo waren, und ganz sicher nicht, wenn sie Jorge Casaravilla und Luis Romea hießen.
    Mitzukriegen, was die Leute sagten, wenn sie glaubten, daß man als Zuhörer keine Gefahr darstellte, konnte sich als sehr nützlich erweisen, um die guten Gaben seiner Glücksfee zu verlängern.
    Folglich wußte er zweifelsfrei, was Kelly ahnte: daß nämlich die beiden Cojos ebenso wenig geneigt waren, ihn mit einer Tasche Koks ziehen zu lassen, wie er die Absicht hatte, sich dem Oranier-Orden anzuschließen.
    Die Frage war nur, wann und wo sie versuchen würden, ihn loszuwerden. Jorge hätte ihn im Kommandoposten vor den Frauen erschossen, kein Problem, aber Luis meinte, es sei besser, wenn er einfach verschwand, keine Zeugen, keine Leichen. Dann konnte niemand die Behauptung widerlegen, er sei mit der Kokstasche abgehauen, und es würde keinen Grund geben, das Drogengeld an die unzähligen
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, die »großen Hände« zu verteilen, die im dunklen Strudel der politischen Schutzzone rund um die Cojos geschmiert werden mußten.
    Das waren gute Gründe, und Jorge hatte sich überzeugen lassen. Popeye hingegen hatte das Gefühl, daß Luis zwar mit Sicherheit keine Skrupel kannte, wenn es um seinen Vorteil und seine Sicherheit ging, aber keineswegs zu den Leuten gehörte, die wie Jorge gegen Gewalt als Mittel zum Zweck nichts einzuwenden hatten oder sogar eine ausgesprochene Begeisterung dafür zeigten. Wenn er, Popeye, jetzt die Gelegenheit nutzte, ein Wörtchen mit dem Mann zu reden, und ihm sagte: »Hör mal, ich hab’s mir überlegt, alles in allem wäre ich vermutlich besser dran, wenn ich aus dem Projekt aussteige, also werde ich folgendes tun: Ich schnapp mir eins der Autos von den Frauen und mach die Fliege, und du und Jorge, ihr könnt mit dem Zeugs dahinten machen, was ihr wollt, okay?«, würde er nicht unbedingt einen Streit vom Zaun brechen.
    Andererseits würde er dann mit leeren Händen abziehen, während er doch eigentlich mit seiner Rente heimkehren wollte. Auf die Dauer war das sehr ermüdend, und er hatte es schon ein bißchen zu oft erlebt. Auch hatte er das Gefühl, einen Platz an der Sonne verdient zu haben, und zwar in einem Land, in dem Grün und Orange nur die Farben des Laubs und der Früchte in seinem Garten waren.
    Sollte er also ein Wörtchen mit Luis reden oder nicht? Aber im Grunde stellte sich diese Frage im Augenblick gar nicht, denn hier, mitten im tosenden Sturm, wäre jedes Wort, ob laut oder leise, Kraftverschwendung gewesen. Das einzig Gute war, daß sie den Sturm im Rücken hatten und landeinwärts getrieben wurden wie zwei Ruderboote, die, weit draußen auf dem Meer von einem Unwetter überrascht, mit solcher Geschwindigkeit und so unkontrollierbar in Richtung Ufer geschleudert werden, daß die Ruderer nicht wußten, ob die Brecher dort an der Küste ihre Rettung oder ihren Tod bedeuteten.
    Nicht gerade ein tröstlicher Gedanke für einen gut katholischen Jungen, der schon länger nicht mehr die Messe besucht hatte, als einem gut katholischen Jungen in seinem Gewerbe ratsam erscheinen mochte.
    Aber der Sturm beeinflußte nicht nur sein Denken, er bewirkte auch merkwürdige Veränderungen auf dem Gelände, das sie überquerten, und verwandelte den verwilderten, weitläufigen, aber doch konventionellen Garten, den sie vor nicht allzulanger Zeit durchschritten hatten, in eine Art Amazonasdschungel. Plötzlich fiel ihm die Engländerin ein, die Frau des Polizisten, die auf der Terrasse gepinkelt hatte. Sie hatte doch ihre kleine Tochter erwähnt, die jetzt bei dem Wetter draußen herumlief. Er hoffte, daß das Kind irgendwo Unterschlupf gefunden hatte. Die Mutter mußte sich ja zu Tode ängstigen. Andererseits, wenn sie vernünftig war, und so

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