Das Haus an der Klippe
tätlichen Angriffs auf einen Polizisten unter Anklage stand.
»Taken from the county jail«, trällerte sie mit. »By a set of curious chances …«
Als altkluges Kind hatte sie sich oft über ihren Vater lustig gemacht, weil er mit seiner spanisch-irischen Abstammung sich für etwas so typisch Englisches wie Savoy-Opern begeisterte, doch in stressigen Zeiten war es nun die Musik, die ihr zuverlässig sein schmales, lächelndes Gesicht zurückbrachte, zusammen mit ihrer von Sonne und Liebe durchfluteten Kindheit.
»… liberated then on bail, on my own recognizances …«
Ein Bad mit Musik war ihr das Zweitwichtigste gewesen, als sie nach ihrer unverhofften Freilassung in ihre Wohnung zurückgekehrt war. Zuallererst jedoch hatte sie nachgeschaut, ob der hölzerne Lichtschalter in ihrem Badezimmer unberührt geblieben war, ihn abgeschraubt und sich ein paar Linien von dem Koks reingezogen, der darin verborgen war. Sie war angenehm überrascht gewesen, wie leicht es ihr in der Untersuchungshaft gefallen war, darauf zu verzichten. Nicht daß es schwierig gewesen wäre, sich im Gefängnis, wo es fast alles gab, etwas zu beschaffen. Doch von Experten, oder zumindest einer Expertin, hatte sie erfahren, daß sowohl die Wärter als auch die Mithäftlinge nur darauf warten, eine Schwäche an einem zu entdecken, weshalb man sie solange wie möglich verbergen soll. Es war doch eine Erleichterung gewesen, als sie bestätigt fand, was sie sich immer wieder gesagt hatte, daß sie nämlich noch lange nicht drogenabhängig war.
Trotzdem, Gott im Himmel! Es hatte doch gutgetan, wieder einmal den Kick zu spüren.
Anschließend direkt in die Badewanne, um den Gefängnisgeruch loszuwerden. Zum dritten Mal ließ sie kochend heißes Wasser nachlaufen. Sie mußte aufpassen, daß ihre Haut nicht rot anlief!
Sie hob einen Arm aus dem Wasser und betrachtete ihn. Bis jetzt sah er noch ganz passabel aus. Sie griff nach dem Glas, das neben der Badewanne auf einem Stuhl stand.
»So bumpers – aye ever so many – And then if you will, many more! This wine doesn’t cost us a penny, Tho’ it’s Pommery seventy-four!«
Sie leerte das Glas und betrachtete sinnend die Flasche, die im Bidet lag. Vielleicht noch eins? Besser nicht. Koks machte einen glasklar, aber von Schampus, so köstlich er war, bekam man einen dicken Kopf. Trotzdem schade, ihn einfach verkommen zu lassen.
Sie stellte sich in die Badewanne, nahm die Flasche, preßte ihren Daumen auf die Öffnung und schüttelte sie kräftig. Dann richtete sie den Flaschenhals auf ihren Schoß und nahm den Daumen weg. Sie kreischte auf, als der eisige, perlende Strahl über ihr rosiges Fleisch tanzte.
Meine Güte! dachte sie. Das sollte ich mir patentieren lassen!
Sie ging noch einmal in die Hocke, um sich den Champagner abzuwaschen, dann stieg sie aus der Wanne und verließ das Badezimmer, eingehüllt in ein großes, weißes Badetuch. Gott wußte, mit welchen Methoden sie überwacht wurde, jedenfalls sah sie keinen Grund, jemandem eine Show zu bieten.
Trocken und angekleidet, setzte sie einen großen Sonnenhut auf und verließ die Wohnung, ohne vorher die Musik leiser zu drehen.
»The flowers that bloom in the spring, tra-la«, sang sie, als sie die Treppen hinunter und hinaus ins Sonnenlicht lief. »Breathe promise of merry sunshine …«
Auf der Außentreppe hielt sie einen Moment inne, als müßte sie die frische Luft der Freiheit einsaugen. Was sie tatsächlich tat, nur daß sie sich nicht sicher war, ob sie diesen Genuß den beiden schwarzgekleideten Herren verdankte, die zu jeder Anhörung vor Gericht erschienen waren, oder diesem Specki, der anstelle des hübschen, schlanken Mr. Pascoe hereingerollt war und sich tatsächlich als so dämlich erwiesen hatte, wie er aussah.
Egal. Ob es Berechnung war oder ob sie es vergeigt hatten, sie würden es bereuen.
Sie ging in Richtung Zentrum und wählte dabei den Weg durch den Charter Park, eine weitläufige Anlage, die grüne Lunge der Stadt. Als sie in das Tor einbog, hielt der Wagen, der ihr gefolgt war, und jemand stieg aus. Er spazierte hinter ihr durch das Tor, während der Wagen langsam seinen Weg durch das Einbahnstraßensystem fortsetzte, das um den Park herumführte. Von Zeit zu Zeit blieb sie stehen, feuerte mal ein paar Kinder an, die Cricket spielten, wechselte ein paar Worte mit einer alten Dame, die Enten auf dem Kanal fütterte, oder schnupperte an den Rosen in den städtischen Blumenrabatten. Sie sang immer
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