Das Haus auf den Klippen
drängte die beiden, einen Drink anzunehmen. »Ich hab
mir gerade was zu trinken gemacht. Bitte nehmen Sie doch auch
was. Ich wollte bisher niemand um mich haben, aber es ist ungeheuer gut, Sie beide hierzuhaben.«
Widerstrebend gestand sich Anne ein, daß sein Verhalten für
echte Trauer sprach. Er sah so ausnehmend gut aus mit seinem
blonden Haar, dem braunen Teint und den haselnußbraunen Augen, daß es leicht zu verstehen war, weshalb Vivian sich in ihn
verliebt hatte. Doch was sah er in ihr, wenn man von ihrem Geld
absah? fragte sich Anne und schreckte dann vor ihrer eigenen
Frage zurück. Was für ein fürchterlicher Gedanke für eine Mutter, warf sie sich vor.
»Was haben Sie jetzt vor, Scott?« fragte Graham Carpenter.
»Ich hab keine Ahnung. Ich hab noch immer das Gefühl, daß
alles nur ein böser Traum ist. Ich glaube nicht, daß ich mich
schon mit der Wirklichkeit abgefunden habe. Wissen Sie, Viv
und ich hatten uns nach einem größeren Haus umgesehen. Die
Schlafzimmer oben sind schrecklich klein, und wenn wir ein
Kind bekommen hätten, hätten wir lieber ein Haus mit genug
Platz für Hausangestellte gehabt, ohne daß sie uns ständig in die
Quere kommen. Wir hatten uns sogar schon Namen ausgedacht.
Graham für einen Jungen, Anne für ein Mädchen. Sie hat mir
gesagt, daß sie immer das Gefühl hatte, eine große Enttäuschung
für Sie beide zu sein, und sie wollte es wiedergutmachen. Sie
fand, daß es ihre eigene Schuld war, nicht die von Ihnen.«
Anne spürte einen Kloß in der Kehle. Sie bemerkte, wie sich
die Lippen ihres Mannes krampfhaft zusammenzogen. »Wir
waren irgendwie immer konträr miteinander«, sagte sie ruhig.
»Manchmal kommt es einfach so, und Eltern hoffen stets, daß es
sich ändert. Ich bin froh, wenn Vivy ehrlich wollte, daß es anders wird. Wir wollten es auf jeden Fall.«
Das Telefon läutete. Scott sprang auf. »Wer immer dran ist,
ich ruf zurück.« Er eilte in die Küche.
Einen Augenblick später sah Anne voller Neugier, wie ihr
Mann nach seinem Glas griff und den Gang hinunter zum Bad
ging. Er kehrte gerade, als Scott zurückkam, wieder.
»Ich wollte mir nur noch einen Spritzer Wasser in den Scotch
tun«, erklärte Graham.
»Sie hätten sich gekühltes Wasser aus der Küche holen sollen.
Bei dem Anruf ging es um kein Privatgeheimnis. Es war die
Immobilienmaklerin dran, die wissen wollte, ob es okay ist,
wenn sie morgen einen Kaufinteressenten herbringt«, sagte
Scott. »Ich hab ihr gesagt, sie soll das Haus vom Markt nehmen.«
»Scott, es gibt etwas, was wir fragen müssen.« Graham Carpenter versuchte deutlich, seine Gefühle zu beherrschen. »Der
Smaragdring, den Vivian immer trug. Er ist schon seit Generationen in der Familie ihrer Mutter. Haben Sie ihn?«
»Nein, den hab ich nicht.«
»Sie haben doch die Leiche identifiziert. Viv nahm ihn nie
vom Finger. Sie hat ihn also nicht getragen, als man sie fand?«
Scott wandte den Blick ab. »Mr. Carpenter, ich bin nur froh,
daß Sie und Mrs. Carpenter die Leiche nicht gesehen haben. Sie
war so schlimm von Meerestieren zugerichtet, daß nur sehr wenig übrig war, was man hätte identifizieren können. Doch wenn
ich den Ring hätte, hätte ich ihn sofort an Sie zurückgegeben.
Ich weiß, daß er ein Familienkleinod war. Gibt es denn sonst
etwas von Vivian, was Sie gerne hätten? Würden ihre Kleider
vielleicht ihren Schwestern passen?«
Anne zuckte zusammen. »Nein… nein.«
Die Carpenters erhoben sich gleichzeitig. »Wir werden Sie
bald einmal zum Abendessen einladen, Scott«, sagte Anne.
»Ja, bitte. Ich wünschte nur, wir hätten einander besser kennenlernen können.«
»Vielleicht könnten Sie uns ein paar Fotos von Vivian zusammenstellen, außer Sie können sich nicht davon trennen«,
sagte Graham Carpenter.
»Selbstverständlich.«
Als sie wieder in ihrem Wagen saßen und losfuhren, wandte
sich Anne an ihren Mann: »Graham, du tust doch nie Wasser in
deinen Scotch. Was hast du denn gemacht?«
»Ich wollte mal das Schlafzimmer in Augenschein nehmen.
Anne, ist dir nicht aufgefallen, daß kein einziges Bild von Vivian im Wohnzimmer war? Nun, ich hab Neuigkeiten. Im Schlafzimmer ist ebenfalls kein Bild von ihr. Ich wette, daß es nirgendwo in diesem Haus auch nur eine Spur von unsrer Tochter
gibt. Ich mag Covey nicht, und ich trau ihm nicht. Er ist ein falscher Hund. Er weiß mehr, als er zugibt, und ich werde der Sache noch auf den Grund kommen.«
15
S
ie hatten einen Computer, einen
Weitere Kostenlose Bücher