Das Haus auf den Klippen
können. Vivian hatte zu verstehen
gegeben, er habe ein Privateinkommen. Vielleicht. Über eine
Sache allerdings hatte Vivian ausnahmsweise die uneingeschränkte Wahrheit gesagt. Sie hatte ihr Testament noch am
selben Tag geändert, an dem sie die Ehe schloß, und jetzt würde
Scott Covey ihr ganzes Geld aus dem Fonds und dazu noch ihr
Haus in Chatham erben. Und sie waren ganze zwölf Wochen
verheiratet gewesen. Zwölf Wochen.
»Graham.« Annes Stimme war leise.
Er griff nach ihrer Hand. »Ich bin wach.«
»Graham, ich weiß, daß Vivs Körper in einem wirklich
schlimmen Zustand war. Wie sah’s mit ihrer rechten Hand aus?«
»Ich weiß nicht, Schatz. Weshalb?«
»Weil niemand etwas über ihren Smaragdring gesagt hat.
Vielleicht war ihre Hand weg. Falls aber nicht, dann hat vielleicht Scott den Ring, und ich möchte ihn wiederhaben. Er war
schon immer in unsrer Familie, und ich kann mir nicht vorstellen, daß ihn irgendeine andre Frau trägt.«
»Ich werd’s rausfinden, Schatz.«
»Graham, warum konnte ich eigentlich nie an Vivian rankommen? Was hab ich falsch gemacht?«
Er faßte sie fester an der Hand. Er wußte nicht, welche Antwort er ihr hätte geben können.
Später spielte er Golf mit Anne. Es war körperliche und emotionale Therapie für beide. Gegen fünf kamen sie nach Hause,
duschten sich, und er bereitete einen Cocktail zu. Dann sagte er:
»Anne, während du dich angezogen hast, hab ich versucht, Scott
zu erreichen. Er hat etwas auf dem Anrufbeantworter hinterlassen. Er ist auf dem Boot und wird gegen sechs zurück sein. Laß
uns doch rüberfahren und ihn nach dem Ring fragen. Danach
gehen wir zum Essen aus.« Er hielt inne. »Ich meine, wir beide
gehen dann essen.«
»Wenn er den Ring hat, muß er ihn nicht hergeben. Es war
Vivians gutes Recht, ihn ihm zu vermachen.«
»Wenn er den Ring hat, bieten wir ihm an, ihn zu einem fairen Marktpreis zu kaufen. Wenn das nicht funktioniert, zahlen
wir ihm, was er dafür haben will.«
Graham Carpenters Mund bildete eine rigoros knappe Linie.
Scotts Reaktion auf diese Bitte hin würde den Verdacht und die
Zweifel, die seine Seele im Würgegriff hatten, beseitigen oder
erhärten.
E
s war halb sechs, als Menley und Hannah endlich nach
Chatham zurückkamen. Nachdem sie den Parkplatz verlassen hatten, hatte sie sich gezwungen, noch einmal das Bahngleis
zu überqueren. Dann war sie ganz ums Rondell herum und erneut über die Schienen gefahren. Keine Panikanfälle beim Autofahren mehr, schwor sie sich. Nicht, wenn es heißt, daß ich
Hannah in Gefahr bringe.
Die Sonne stand noch hoch über der See, und es erschien
Menley, als strahle das Haus eine zufriedene Stimmung aus,
wie es sich so in den warmen Strahlen, die es einhüllten, badete. Im Inneren warf die Sonne, die durch das farbige Glas
des fächerförmigen Fensters über der Eingangstür strömte,
einen Regenbogen von Farben auf den bloßen Eichenholzboden.
Mit Hannah in den Armen ging Menley zum Vorderfenster
und blickte auf den Ozean hinaus. Sie überlegte, ob damals, als
das Haus ganz neu war, die junge Braut wohl je Ausschau nach
dem Mast vom Schiff ihres Mannes gehalten hatte, wenn er von
einer Fahrt heimkehrte. Oder war sie viel zu beschäftigt damit,
mit ihrem Liebhaber herumzutändeln?
Hannah wurde unruhig. »Gut, Zeit zum Füttern«, sagte Menley und wünschte sich wieder einmal, sie hätte Hannah stillen
können. Als die posttraumatischen Streßsymptome einsetzten,
hatte der Arzt ihr Beruhigungsmittel verschrieben und das Stillen unterbunden. »Sie brauchen Beruhigungspillen, aber das
Baby braucht sie nicht«, hatte er erklärt.
Nun ja, du gedeihst auch so bestens, dachte Menley, während
sie die Säuglingsnahrung in die Flasche schüttete und in einem
Topf aufwärmte.
Um sieben Uhr verstaute sie Hannah im Bettchen, diesmal ganz
fest in einem Schlafsack. Mit einem Blick durch den Raum vergewisserte sie sich, daß die Steppdecke gefaltet auf dem Bett
lag, wo sie hingehörte. Menley starrte sie mit Unbehagen an. Sie
hatte Adam beiläufig gefragt, ob er die Kleine in der Nacht zugedeckt habe. Nein, war seine Antwort gewesen, zweifellos
verwundert darüber, daß sie gefragt hatte.
Sie hatte rasch nachgedacht und gesagt: »Dann strampelt sie
hier nicht soviel herum wie zu Hause immer. Wahrscheinlich
sorgt die Meerluft dafür, daß sie ruhig schläft.«
Sie zögerte außerhalb des Kinderzimmers. Es war albern, das
Licht im Korridor anzulassen. Es war viel zu hell.
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