Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
man Elsa hereinführte. Es war ihr schwerster Gang, schwerer als der Einzug in das Methodistendorf, der Auszug aus dem Haus ihrer Schwiegereltern in Bremen, der Umzug zu Warwick als seine Konkubine, die Fahrt in die Entziehungsklinik. Immer war sie die Gedemütigte, Besiegte, und dennoch war keine dieser Niederlagen so vernichtend gewesen wie jene, die ihr nun bevorstand.
Sie suchte und fand die Augen von Max, Paulette und Iolana, und was sie darin sah, tröstete und schmerzte sie zugleich.
Um exakt zehn Uhr lieà der Richter den Hammer niedersausen und König Georg VI . hochleben, bevor er die Sitzung eröffnete. Seine Perücke, der Talar, die kräftige Stimme und sein fortgeschrittenes Alter verliehen ihm eine hohe Autorität, die er mit seinem Adlerblick noch zu erhöhen vermochte. Es bestand nicht der geringste Zweifel, dass eine Verhandlung unter seiner Führung nicht weniger geordnet ablaufen würde als eine Karfreitagsmesse in der Kathedrale von Sydney.
Trotzdem kam es ganz anders.
Nachdem der Richter die Anwesenheit der Vertreter der Anklage und der Verteidigung festgestellt hatte, forderte er Elsa auf, sich zu erheben und ihren vollen Namen zu nennen.
Elsa atmete tief durch. Der schlimmste Augenblick ihres Lebens stand ihr bevor. » Elsa Faâalua Warwick, Prinzessin von Samoa. «
Von diesem Moment an lief die Sache nicht mehr so, wie Elsa und all die anderen es erwarteten â sie lief nämlich aus dem Ruder.
Myrtle Malone, die in der ersten Reihe der Zuschauerränge saÃ, stand auf und rief: » Euer Ehren, dies ist eine Lüge. «
Instinktiv ergriff der Richter den Hammer und schwang ihn, als habe er vor, ihn zu werfen.
» Maâam, setzen Sie sich und verhalten Sie sich ruhig. «
» Ich habe dem Gericht Entscheidendes mitzuteilen. «
» Später, Maâam. In meinem Gerichtssaal haben sich selbst Pastorengattinnen an die Regeln zu halten. «
Elsa rief dazwischen: » Euer Ehren, ich möchte eine Aussage machen. «
Der Richter sah sie mit aller Schärfe an. » Auch Sie, Angeklagte, sprechen gefälligst nur, wenn Sie gefragt werden. Wir waren dabei, Ihren Namen festzustellen, und nur dazu haben Sie ⦠«
» Im Grunde geht es ja um meinen Namen. Ich ⦠«
» Euer Ehren « , mischte sich eine weitere Stimme in den Chor der Unterbrecher. » Die Angeklagte ist unschuldig. Ich habe den Mord begangen. Ich allein. «
Der Richter verlor für einen Moment die Fassung und vergaà darüber sogar, den Hammer zu schwingen.
» Wie bitte? Was sagen Sie da? Wer sind Sie überhaupt? «
» Mein Name ist Max Richter. Ich habe Henning Matthes betäubt, in das Boot getragen und über Bord geworfen. «
Elsa wurde von Emotionen überwältigt, wie sie es noch nie erlebt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben opferte sich jemand für sie. Henning hatte sie eine Zeit lang verwöhnt und Titus ebenfalls, aber beiden Männern war es in erster Linie um ihren eigenen Vorteil gegangen. Paulette und Iolana waren ihr in tiefer Freundschaft verbunden, hatten ihr oft in schwierigen Situationen beigestanden, sie ermuntert oder beruhigt, ihr verziehen, geraten ⦠Was Max da für sie tat, war etwas völlig anderes. Er warf sein Leben für sie weg.
Ein anderer Mensch stellte ihr Wohl über das seine. Diese Erfahrung war wie ein Balsam, der sich im Nu in ihrem Körper verteilte und sie von ihrem Leiden kurierte. So nah hatte sie sich Max noch nie gefühlt â oder so eins mit ihm. Sie konnte nicht anders, sie musste lächeln, Max anlächeln, obgleich sie sich des Ernstes seiner Aussage bewusst war. Elsa würde seine Geste nicht annehmen, sie würde auf ihrer Schuld beharren. Trotzdem war sie plötzlich im Reinen mit ihrem Schicksal.
» Dieser Mann lügt! « , rief Myrtle Malone. » Er versucht das Gericht zu verwirren. «
» Darin, Maâam, stehen Sie ihm in nichts nach « , erwiderte der Richter und besann sich seines Hammers, der gleich mehrmals niedersauste. » Ich bitte mir Ruhe aus! «
» Euer Ehren « , sagte Elsa und ignorierte die Mahnung. » Ich bitte Sie, mich anzuhören. «
Myrtle Malone trat vor. » Ich habe Euer Ehren ein Dokument zu übergeben, welches ⦠«
» Nicht jetzt! « Die Stimme des Richters überschlug sich, und der Hammer krachte derart laut nieder, dass es in den Ohren schmerzte. » Ich dulde keine
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