Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
Medikamenten dagegen sah es schlecht aus, weshalb er auf Naturheilverfahren zurückgriff.
Keanu war mit seinen elf Jahren genau in dem Alter, in dem Söhne beginnen, mehr Zeit mit ihren Vätern und weniger mit den Müttern zu verbringen, daher lieà Elsa ihn an fünf von sieben Tagen bei Max wohnen, seinem Ersatzvater. Die beiden gingen zusammen in den Wald und sammelten dort jene Pflanzen, die Max für seine Patienten benötigte. Keanu lernte von ihm, Verbände anzulegen. Weder der Anblick von Blut noch die hässlichen Verletzungen machten ihm etwas aus, und er war begierig darauf zu helfen. Mit seiner Geduld, dem ausgeglichenen Wesen und der Neigung zur Medizin passte er gut zu Max. Elsa war stolz auf ihren Jungen.
Ein paarmal war sie kurz davor gewesen, zu Max zu fahren und ihm ihre Hilfe anzubieten. Die Vorstellung, dass sie beide gemeinsam mit Keanu leicht verletzte Patienten versorgten, Essen austeilten, Pflanzen sammelten und abends müde nebeneinander einschliefen, fand sie äuÃerst befriedigend. Trotzdem scheute sie letztendlich davor zurück. Einmal war sie sogar schon fast an der Hüttenpraxis angekommen, kehrte im letzten Moment aber wieder um.
Natürlich war Hitoshi der Grund.
» Ich muss dir etwas gestehen « , sagte er zwischen zwei Zigarettenzügen. » Es ist kein Zufall, dass wir ausgerechnet heute den Tagesausflug gemacht haben. Ich ⦠Es ⦠«
» Es sieht dir nicht ähnlich zu stammeln. «
Ihr Einwurf spornte ihn sofort zu Festigkeit an. » Heute finden zahlreiche Verhaftungen in Port Rabaul statt, und ich wollte nicht, dass du das miterlebst. «
» Zahlreiche Verhaftungen? «
» Ich möchte nicht, dass du schlecht von mir denkst. Die Verhaftungen waren überfällig. Unsere Stellungen werden ausspioniert, da bin ich mir ganz sicher, denn die Amerikaner wissen ganz genau, wo und wann sie ihre Bomben abwerfen müssen. Der Generalstab in Tokio macht mir Druck. Ich musste handeln. «
» Wenn du Verhaftungen sagst ⦠«
» ⦠meine ich auch Verhöre ⦠und das eine oder andere Todesurteil. «
» Wie viele? «
» Ein, vielleicht zwei Dutzend. «
Elsa stöhnte auf. » Wie schrecklich! «
» Wir haben auch die Malones verhaftet. «
» Die heilige Myrtle und ihren Prediger? Die leben seit Kriegsausbruch völlig zurückgezogen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die beiden euch ausspioniert haben. «
» Haben sie auch nicht. Aber ich dachte, weil du ihretwegen so viel leiden musstest ⦠«
Elsa erschrak, nicht nur wegen Hitoshis düsterem Angebot, sondern weil sie einige Sekunden lang drauf und dran war, es gut zu finden. Myrtle Malone hatte sie erst manipuliert, dann im Stich gelassen, verunglimpft, bekämpft und schlieÃlich aufs Schafott stoÃen wollen. Grund genug, ihr die Pest an den Hals zu wünschen.
Nichtsdestotrotz wollte Elsa nicht schuld am Tod eines weiteren Menschen sein. Die Macht zu haben, mittels Hitoshi Schicksal spielen zu können, machte ihr Angst. Und auch Hitoshis fast allmächtige Stellung flöÃte ihr zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Furcht ein.
» Tu ihnen bitte nichts « , sagte sie.
» Ich muss sie ja nicht hinrichten lassen. Ich dachte, wenn sie eine Weile in derselben Zelle sitzen, in der du in Haft ⦠«
» Nein, Hitoshi, das will ich nicht. Sie sollen nur für das büÃen, was sie getan haben, nicht für etwas, das sie nicht getan haben. «
» Ich wollte dir einen Gefallen tun. «
» Dann lass sie noch heute frei. «
» Bist du verärgert? «
» Ich bin nicht verärgert « , log sie.
» Der Krieg ist an allem schuld « , rechtfertigte er sich. » Aber er wird erst beendet sein, wenn die Amerikaner auf die japanischen Bedingungen eingehen. In letzter Zeit haben wir eine Reihe von Niederlagen einstecken müssen. Um mein Land zu besiegen, müsste man es jedoch erobern. Das würde ein unglaubliches Blutbad für die Amerikaner bedeuten, denn jeder einzelne Japaner wird bis zum letzten Blutstropfen kämpfen. «
Elsa erschauderte. Wenn Hitoshi vom Krieg sprach, blitzte ein Mann in ihm auf, den sie nicht kennen wollte. Daher versuchte sie, mit ihm möglichst nicht darüber zu sprechen.
Es hatte eine Zeit gegeben, als ihr Hitoshis innere Stärke imponierte. Er hatte einen klaren Kompass, das Nachdenkliche lag ihm nicht, er war sich immer
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