Das Haus der blauen Schmetterlinge - Roman
Fast hätte sie die Freundin um eine Ohrfeige gebeten.
Nun war sie allein mit tausend unausgesprochenen, aufgeschobenen Konflikten. Sie saà noch immer auf dem Boden, obwohl das Café längst dunkel war, und brauchte eine Weile, um aufzustehen.
Am Fuà der Treppe ins Obergeschoss zögerte sie. Nein, sie konnte jetzt nicht schlafen. Ihr Blick wanderte zum Steg und der Plattform, die sich im Mondlicht silbrig glänzend von der Finsternis abhoben.
Die Natur lockte sie nach drauÃen. Wie oft hatte sie als Kind in ihr Zuflucht gesucht, sich vom Requiem der Brandung trösten, vom Wind die trüben Gedanken wegfegen lassen. Was mache ich falsch, dass sie mich nicht mögen?, hatte sie sich damals oft gefragt. Sie hatte mit den blauen Schmetterlingen darüber gesprochen und des Nachts mit einem besonders hellen Stern.
In dieser Nacht ging der Stern nicht auf. Das Meer schwieg, der Passat stand still, die Schmetterlinge schliefen im Blattwerk. Elsa blieb in der Dunkelheit ohne Freund.
Nur das Opium bot sich an.
Elsas Herz machte einen Sprung. Die Vorfreude auf das warme Bad des Vergessens war bereits eine Droge für sich.
Sie öffnete ihre Handtasche. Es war zu dunkel, die feine Mondsichel war von einer langen Wolkenkarawane verdeckt. Mit zittrigen Fingern suchte Elsa nach der Erlösung, bekam sie jedoch nicht zu fassen.
» Das gibt es doch nicht! « , schrie sie sich selbst an. Immer hastiger durchwühlte sie ihre Handtasche nach dem Tütchen. Schon hatte die Angst, vermischt mit Zorn gegen sich selbst und die ganze Welt, die Vorfreude überdeckt.
Da, endlich, ertasteten ihre Finger das ersehnte Objekt. Aber dann, in derselben Sekunde, geschah etwas Unerwartetes.
Elsa sah Max vor sich. Er war nicht wirklich da, doch sie hatte ihn ganz klar vor dem inneren Auge und spürte ihn so deutlich in ihrem Herzen, als läge er bei ihr.
Mit einer einzigen entschlossenen Bewegung kippte sie den gesamten Inhalt ihrer Handtasche ins Meer. Die Tasche warf sie gleich hinterher.
Eine Woge der Erleichterung erfasste sie. Sie war stolz auf sich selbst, was ihr aber nur wenig bedeutete, da sie sich nicht für sich, sondern für Max überwunden hatte. Er sollte stolz auf sie sein. Morgen würde sie vor ihn treten und sagen: » Das wird nie wieder passieren. Bitte verzeih mir. «
Binnen Sekunden flutete die Woge positiver Gefühle wieder zurück, und eine Woge der Angst erfasste Elsa. Sie dachte: Ich muss zur Villa, ich will zu meinem Opium. Der Gedanke, nachts durch den Wald den Hügel hinaufzulaufen, war völlig verrückt, trotzdem glaubte sie, keine andere Wahl zu haben.
Sie hielt das Geländer fest umklammert, so als könne allein die Holzplanke sie vor dem Untergang bewahren, und sie weinte, als hätte sie körperliche Schmerzen. Minutenlang verharrte sie so, vornübergebeugt. Die Tränen fielen in den Ozean. Als ihre Hände bleich und verkrampft und ihre Wangen getrocknet waren, war sie so müde, dass sie im Stehen hätte einschlafen können. Ausgerechnet ihre Erschöpfung verhinderte, dass sie noch an das Opium dachte. Sie hatte es geschafft â für diese eine Nacht.
» Zuerst wollte ich nichts sagen. Aber ich halte es nicht aus. Diesmal muss ich den Mund aufmachen. «
Ohne dass Elsa es bemerkt hätte, hatte Iolana die Plattform betreten. Sie trug eine Petroleumlampe mit sich, die sie auf dem Geländer abstellte, sodass die beiden Frauen wie in eine Arena in einen engen Kreis von Licht eingeschlossen waren.
Waren es die zuckenden Schatten, die dem sonst so lieblichen Gesicht der Polynesierin etwas Finsteres, Bedrohliches gaben?
» Es tut mir leid, Iolana « , sagte Elsa.
» So kommst du mir diesmal nicht davon. Ist dir eigentlich klar, was du Max da angetan hast? «
» Ich weiÃ, ich hätte das nicht sagen dürfen. Es war nur ⦠Ich wollte ihm einen Augenblick lang wehtun. «
» Solche Augenblicke hast du ziemlich oft. «
» Das ist unfair, Iolana. So kannst du das nicht sagen. «
» Vor genau vier Jahren hast du damit angefangen, als du Max schon einmal angefeindet hast. Erinnerst du dich? Ich stand dabei, als du ihm im Hotel âºKronprinzâ¹ unterstellt hast, ein schlechter Arzt zu sein. Und jetzt hast du seinen Ruf endgültig ruiniert. «
» Wie schon gesagt, ich bedaure das alles sehr, und wenn ich es ungeschehen machen könnte ⦠Trotzdem darfst du das, was damals
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