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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Guter.«
    Das Krokodil zog sich seitwärts zurück und legte sich auf den trüben Grund.
    »Ist zwar nur eine Kreatur, aber er versteht alles genau.« Pnyrja nickte, und ein schwaches Lächeln umspielte seine Lippen. »Wenn er ein lebendes Kaninchen oder ein Küken verschlingt, weint er. Bittere Tränen. So mitfühlend ist er.«
    »Sieht man denn die Tränen im Wasser?«
    »Er frisst draußen.«
    »Was, du lässt ihn raus?«, rief Warja erschrocken.
    »Aber ja! Natürlich nicht auf den Teppich, er würde mir hier ja alles schmutzig machen. Aus dem Aquarium wird das Wasser abgelassen, und das Futter läuft auf dem Rand lang. Die Tür muss dabei natürlich zu sein. Weißt du, ich schaue ihm gern zu beim Jagen. Er kostet mich zwar eine Stange Geld, aber was solls?«
    »Er frisst lebendige Küken und Kaninchen?« Warja verzog das Gesicht.
    »Natürlich lebendig.« Pnyrja nickte. »Sonst schmeckts ihm nicht.«
    »Aber er könnte doch auch einen Menschen beißen.«
    »Klar doch. Ist schließlich ein Raubtier.« Endlich ließ er Warjas Hand los und strich ihr mit einem Finger über Wange und Hals. »Du bist mir also nicht böse, Warja? Recht so, Mädchen. Man darf nichts Böses in sich hegen, es wächst innen drin, nimmt dir die Luft und will raus. Ich sehe es jedem an den Augen an, wenn er Böses im Herzen trägt. Aber deine Augen sind klar und rein, darum liebe ich dich wie eine Tochter. Hörst du, Mädchen? Wie eine Tochter.«
    Die Szene hatte etwas von einer Seifenoper. Warja war schon lange aufgefallen, dass Pnyrja ständig von diesem verlogenen süßlichen Hauch umgeben war.
    Nun musste sie nur noch losheulen und ihm um den Hals fallen. Das in ihr aufsteigende verräterische Lachen kam ihr zupass – ihr traten Tränen in die Augen, und Pnyrja glaubte, sie halte nur mit Mühe ein Schluchzen zurück.
    »Nicht doch, Mädchen, nicht doch«, flüsterte er heiser und streichelte ihr den bebenden Rücken. »Alles wird gut. Siehstdu, so ist das, wen man liebgewinnt, den verliert man. Wie soll ich jetzt meiner Schwester in die Augen sehen? Er war ihr einziger Sohn.«
    Der Neffe, dämmerte es Warja. Klar, er hatte von einer Schwester in Woronesh erzählt. Er wollte die beiden immer nach Moskau holen, die Schwester und den Neffen, aber sie sträubten sich. Er hätte sie hier bestens untergebracht, genau wie damals die kinderreiche Isolda, die Tochter seines umgekommenen Woronesher Kumpels Iwan. Sie hat sieben Kinder, und Pnyrja hat ihr ein riesiges Haus in der Nähe von Moskau gekauft. Sofort stieg aus Warjas Erinnerung erneut ein Bild auf, diesmal deutlicher. Eine sonnenbeschienene Wiese, ballspielende Jugendliche. Drei Mädchen. Zwei sich vollkommen gleichende Schönheiten mit glattem blondem Haar und eine dürre Rothaarige mit aufgeschlagenem Knie. Ein klarer, kalter, windiger Tag Anfang Mai. Auf der Wiese tobt ein erwachsener Mann mit den Kindern herum. Weiße Turnschuhe, weißer Trainingsanzug. Ein ehemaliger russischer Boxchampion treibt mit Isas Kindern Sport. Ein regelmäßiges Durchschnittsgesicht, helles, stoppelkurzes Haar …
    »Wen man liebt, den verliert man«, vernahm sie Pnyrjas dumpfe Stimme. »Ich hab ihn geliebt und verwöhnt, ich hab ihm vertraut wie mir selbst, und er tut mir so was an!«
    »Hat er sich umgebracht?«, fragte Warja vorsichtig.
    »Er wurde in die Luft gesprengt. Er war auf einem Einkaufsbummel, wollte ein Geschenk für seine junge Frau kaufen, und da hats gerumst.«
    »Wer wusste denn, wann und wo er einkaufen wollte? Wo ist es passiert?«
    »In der Einkaufsgalerie am Puschkinplatz.«
    »Die ist groß, da gibts eine Menge Geschäfte«, sagte Warja nachdenklich. »Schließlich wurde nicht die ganze Galerie in die Luft gejagt, oder?«
    »Nein. Nur die Boutique ›Virginia‹. Gena war gerade nebenan im Antiquitätenladen. Der Kronleuchter ist runtergeknallt,ihm genau auf den Kopf. Wie soll ich meiner Schwester Galja jetzt in die Augen sehen? Er war ihr Einziger.«
    »Weiß sie es schon?« Warja hob die feuchten Augen, hielt den Atem an und spürte, wie ihre Hände kalt wurden.
    »Nein. Ruf du sie an, aber sag es ihr nicht gleich. Sie soll nach Moskau kommen. So was sagt man nicht am Telefon.«
    »Ich soll deine Schwester anrufen?«, fragte Warja erstaunt. »Aber sie kennt mich doch gar nicht.«
    »Wen soll ich sonst darum bitten? Selber kann es ich nicht, das schaffe ich nicht. Komm, ich wähle die Nummer, und du sprichst mit ihr.«
    »Bitte doch deine – wie heißt sie gleich? Isolda, die

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