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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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wusch und die Zähne putzte, saß sie auf dem Wannenrand. Im Spiegel sah er ihre hellen, spöttischen Augen und ihre geraden, breiten Brauen, die genauso pechschwarzwaren wie ihre Wimpern. Und den weißen Rand des Häubchens auf der Stirn.
    »Warum arbeitest du als Stationshilfe?«, fragte er, als er sich den Mund gespült hatte.
    »Ich hab die Aufnahmeprüfung fürs Medizinstudium verhauen.«
    Sie brachte ihn zurück zum Bett, half ihm beim Hinlegen und ging. Danach starrte er eine ganze Weile an die Decke und bemerkte nicht sofort, dass sein Bein kaum noch schmerzte.
    Seitdem wartete er – jeden Tag, jede Stunde. Schon von weitem erkannte er ihre schnellen, leichten Schritte. Beim Klappern des Eimers und dem Klatschen des nassen Lappens auf dem Boden stockte ihm das Herz.
    Seine Mutter besuchte ihn täglich; sie bemerkte den fieberhaften Glanz in seinen Augen, argwöhnte, jemand vom Personal versorge ihn heimlich mit Drogen, ging der Sache nach und entdeckte bald den wahren Grund. Oleg fragte fast jeden, der ins Zimmer kam, ob Xenia heute Dienst habe, und ließ ihr ausrichten, sie solle ihn besuchen kommen. Selbst dem behandelnden Arzt erklärte er mit dümmlichem Lächeln, es gebe hier eine Stationshilfe mit erstaunlichen Fähigkeiten; sobald sie in sein Zimmer käme, fühle er sich erheblich besser.
    Olegs Mutter Galina holte weitere Erkundigungen ein. Bereits nach drei Tagen wusste sie alles über das Mädchen und war von dem Ergebnis sehr erbaut. Die junge Stationshilfe stammte aus Moskau, aus einer armen Akademikerfamilie. Sie rauchte nicht, trank nicht, besuchte keine Diskotheken, benutzte keine Kosmetik, war höflich, fleißig und kerngesund.
    Einen Tag vor Olegs Entlassung machte Galina Xenias Bekanntschaft. Das Mädchen gefiel ihr. Da sie wusste, wie schüchtern und tolpatschig ihr Sohn war, ergriff sie selbst die Initiative. Sie lud das Mädchen zu sich nach Hause ein – sie besäße einige wertvolle medizinische Bücher aus dem vorigen Jahrhundert. Der erste Besuch war ein steifes Teetrinkenzu dritt. Dann folgte eine Einladung ins Theater, zu einem äußerst populären neuen Stück (eine Karte kostete soviel, wie Xenia im ganzen Monat verdiente.) Galina, eine wahre Meisterin im Knüpfen des feinen Gewebes menschlicher Beziehungen, beförderte und festigte die gegenseitige Freundschaft so mühelos und geschickt, dass Xenias Schicksalsfaden, noch ehe sie sich besann, schon fest in das fremde Muster eingewoben war.
    Oleg war seiner Mutter zum ersten Mal im Leben dankbar für ihre Einmischung. Er wusste nicht, wie er sich dem Mädchen nähern sollte, und ahnte, dass er all seine früheren Misserfolge seiner Unentschlossenheit verdankte – er hatte nie selbst die Wahl getroffen, sondern war immer erwählt worden. Xenia war seine letzte Chance. An ihrer Seite fühlte er sich jünger, gesünder, glücklicher. Er war sich sicher, dass er keine Drogen mehr nehmen und noch einmal ganz von vorn anfangen würde.
    Das Ganze endete, wie es sich gehört, mit einer schönen, aufwendigen Hochzeit: Lincoln-Limousine, Gaultier-Kleid, Blumenmeer, schickes Restaurant, zahlreiche prominente Gäste und eine zehntägige Reise in die französischen Alpen.
    Und nun, nach einem knappen Jahr, war die schöne und kluge Xenia, sein wahr gewordener Traum, Oleg genauso fremd und gleichgültig wie diese Sommernacht, und ihre bezaubernde drei Monate alte Tochter Mascha machte ihm keine Freude.

Sechstes Kapitel
    Hauptmann Kossizki hatte lange keine Gemeinschaftswohnung mehr gesehen und gedacht, die gebe es in Moskau gar nicht mehr. Doch Julia Lastotschkina hatte in einer klassischen Gemeinschaftswohnung in einem Haus aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Nähe der Metrostation Kropotkinskaja gelebt. Nach ihrem Tod im Mai dieses Jahres warihr Zimmer an die Nachbarn gefallen, denn Julia hatte keine Angehörigen gehabt.
    Ein ungepflegter alter Mann in gestreiftem Pyjama, eine Papirossa im zahnlosen Mund, öffnete die Tür und verschwand wortlos im Dunkel des Flurs. Kossizki, nach dem hellen Sonnenlicht draußen so gut wie blind, tastete sich zur Küche vor, von wo Stimmen und Geschirrklappern tönten, und stolperte über einen riesigen Kater. Der Kater sprang kreischend beiseite und warf einen Hocker mit einer Schüssel voll nasser Wäsche um. Der Hauptmann machte ein paar unsichere Schritte, blieb mit dem Schuh an einem Damenunterrock hängen und stürzte quasi auf allen vieren rückwärts in die Küche, mit einem Bein hilflos

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