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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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»Ich bitte nochmals um Entschuldigung. Das kam so überraschend. Das ist ja entsetzlich.«
    »Sie müssen sich nicht entschuldigen.« Der Hauptmann zuckte die Achseln. »Also, woran erinnern Sie sich?«
    »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Es waren zwei Schwestern, Lilja und Olga. Olga interessiert Sie bestimmt nicht, sie hat sich vor zehn Jahren umgebracht.«
    »Können Sie mir auch etwas über sie erzählen?«
    »Einiges schon. Aber wozu? Die Wunde ist lange verheilt, warum erneut darin herumstochern?«
    »War es denn eine Wunde?«, fragte Kossizki leise.
    »Na ja, wenn eine junge Frau einfach so aus dem Fenster springt und ein vierjähriges Kind hinterlässt, ist das doch schrecklich und tut weh.«
    »Einfach so? Nahm Olga Kolomejez nicht Drogen?«
    »Klar, das musste ja kommen.« Ferdinand seufzte. »Ja, sie hat eine Zeitlang gefixt. Sie ist seit zehn Jahren tot, aber das Etikett ›drogensüchtig‹ wird sie nie los. Das ist ungerecht.«
    »Sie wollen sagen, sie hatte aufgehört?«, erkundigte sich Kossizki.
    »Aber ja! Julia hat sie da rausgeholt. Olga wohnte manchmal hier, zwei, drei Tage die Woche. Das letzte Mal, kurz vor ihrem Tod, sogar fast einen Monat. Das war im Sommer 89. Olga lernte für die Aufnahmeprüfungen an der pädagogischen Hochschule.«
    »Warum konnte sie das denn nicht zu Hause tun?«
    »Sie wohnte mit Lilja und Tante Manja in einer sehr kleinen Wohnung, und ihre Kleine war gerade vier. Ich weiß nicht, ob Sie das wissen – das Kind kam wegen der Drogen behindert zur Welt. Lilja und Tante Manja kümmerten sich um die Kleine und schickten Olga her, damit sie in Ruhe lernen konnte.«
    »Und, hat sie die Prüfungen geschafft?«
    »Ja, für ein Abendstudium. Sie war überglücklich. Mit dreißig die Aufnahmeprüfung bestehen, wenn du alles, was du in der Schule gelernt hast, längst vergessen und zudem eine Drogenkarriere hinter dir hast, das ist schließlich kein Pappenstiel! Und eine Woche später ist sie aus dem Fenster gesprungen.«
    »Sie erinnern sich ja ziemlich genau«, bemerkte Kossizki. »War nie vom Vater des Kindes die Rede?«
    »Nein, nie. Die Klatschtanten in unserer Gemeinschaftswohnung haben Olga natürlich mit Fragen gelöchert, abernichts herausbekommen. Es gab da einen Mann, mit dem Olga zwei Jahre zusammengelebt hatte. Aber ich weiß nicht einmal seinen Namen. Wahrscheinlich war das Kind von ihm. Genau wie die Drogen. Als Olga sich umgebracht hatte, behaupteten alle, daran seien die Drogen schuld, als hätten sie vergessen, dass sie zu dem Zeitpunkt schon anderthalb Jahre clean war. Lilja war natürlich völlig fertig. Sie war nur noch ein Schatten. Und Tante Manja, eine starke Frau, wurde richtig krank und starb bald darauf. Lilja stand plötzlich vollkommen allein da, mit einem behinderten Kind. Sie konnte nicht anders handeln.« Ferdinand erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Seine mageren Schultern hingen herab, die zerschlissenen Filzpantoffeln hingen lose an seinen dünnen nackten Füßen, und er stolperte dauernd.
    »Wovon reden Sie?«, fragte der Hauptmann vorsichtig.
    »Wenn Sie den Mord an Lilja untersuchen, müssten Sie das eigentlich schon wissen«, verkündete er in raschem, pfeifendem Flüsterton und trat dicht vor Kossizki, »ich kann es Ihnen nicht sagen. Ich habe es geschworen, verstehen Sie?«
    Kossizki nickte. »Ich verstehe. Aber wenn diese Information etwas zu tun hat …«
    »Nein!«, rief Ferdinand. »Diese Information kann nichts mit dem Mord zu tun haben! Bitte glauben Sie mir das«, fügte er ruhiger hinzu.
    Der Hauptmann beschloss, das Thema vorerst fallenzulassen, damit sich sein nervöses Gegenüber entspannte. Ein Schwur war natürlich eine ernste Sache, aber ein Mord war noch ernster, und früher oder später würde der arme Ferdinand doch damit rausrücken müssen, was Lilja so Schlimmes getan hatte.
    »Nun regen Sie sich doch nicht so auf«, beschwichtigte ihn der Hauptmann. »Erzählen Sie mir von den Schwestern. Wie waren sie?«
    »Sie waren verschieden«, erwiderte Ferdinand scharf und irgendwie herausfordernd. »Äußerlich waren sie sich sehrähnlich, aber nur auf den ersten Blick. Lilja war stärker, härter, vernünftiger. Nicht, weil sie die Ältere war. Sie war eben zielstrebig, zuverlässig. Sie wusste von klein auf, was sie wollte. Olga dagegen schwebte in den Wolken, ihre Augen waren immer verschleiert, schon bevor sie Drogen nahm.«
    »Wenn ich Sie richtig verstehe, kannten Sie die Schwestern seit ihrer

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