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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sang laut und heiser mit: »Ja, Liebe ist so schizophren.«
    Nikolai zündete sich eine Zigarette an und beobachtete den verrückten Tanz mit leicht angewiderter Neugier. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass er nicht der einzige Zuschauer war. Auch der Bursche in Schwarz sah zu, er war sogar näher herangekommen und rauchte ebenfalls. Nikolai registrierte die weißblaue Schachtel Parlament und das Zippo-Feuerzeug. Ziemlich teure Utensilien für einen jungen Mann.
    Die Passanten beschleunigten ihre Schritte, um rasch an der Vorstellung vorbeizueilen. Die Obdachlosen schauten eine Weile zu und klatschten Beifall, dann gingen sie gelangweilt auseinander. Doch der Bursche mit dem Bandanatuch blieb stehen, und nicht einmal die dunkle Brille konnte verbergen, dass er die Obdachlose unverwandt ansah. Er stand nur zwei Schritte von Nikolai entfernt, fast direkt hinter ihm. Nikolai blickte sich mehrmals um und bemerkte die schwarzen Nappalederschuhe, die überhaupt nicht zu den Jeans, dem T-Shirt und dem Tuch passten. Die Schnürsenkel waren merkwürdigerweise weiß.
    Was reimst du dir da zusammen, Unterleutnant, verspottete sich Nikolai im Stillen. An dem Burschen ist absolut nichts Merkwürdiges. Er steht einfach da und schaut zu, aus reiner Langeweile. Vielleicht wartet er auf jemanden.
    Die betrunkene Frau hatte sich inzwischen tanzend Nikolais Tisch genähert. Sie hielt ihn wohl für einen aufmerksamen Zuschauer und widmete nun ihm ihre Vorstellung. Sie streckte ihm die Hände mit den Trauerrändern unter den Fingernägeln entgegen, legte schmachtend den Kopf in den Nacken, entblößte den zahnlosen Mund, schüttelte die Schultern wie eine Zigeunerin, ließ sich schließlich auf den Stuhl gegenüber fallen und langte nach Nikolais Zigarettenschachtel auf dem Tisch. Da begriff er plötzlich, warum er den betrunkenen Tanz so lange beobachtet hatte, warum der Bursche in Schwarz ihn so beunruhigte und welche Verbindung es zwischen diesen beiden unangenehmen Erscheinungen womöglich gab.
    Vor einigen Tagen hatte er nach dem Nachtdienst vor dem Reviereingang geraucht und die im ganzen Viertel bekannte Obdachlose Sima mit ihrem Lebensgefährten Rjurik herauskommen sehen und kurz darauf von dem Handarbeitskorb aus der Wohnung der Ermordeten und dem Teufel mit den roten Hörnern erfahren.
    Inzwischen wusste das ganze Revier, dass Sima das zweifelhafte Glück hatte, die einzige Zeugin in dem Mordfall zu sein, und von Untersuchungsführer Borodin vernommen wurde. Ihre Aussagen klangen so seltsam, dass der Revierchef sie herumerzählte wie einen Witz.
    Nikolai war schon als kleiner Junge neugierig und voller Eifer gewesen. Er wäre nicht zur Miliz gegangen, hätte er nicht davon geträumt, eines Tages ein schreckliches, verzwicktes Verbrechen aufzuklären, einen blutrünstigen Psychopathen zu stellen und dadurch berühmt zu werden. Seit er seine erste gewaltsam zu Tode gekommene Leiche gesehen hatte, war in seinem Kopf unabhängig von seinem Willen ein völlig neuer Mechanismus in Gang gesetzt worden. Nikolai dachte nur noch an diesen seltsamen Mord, an das verrückte Mädchen Ljussja, und versuchte sich vorzustellen, wie sie nach dem Messer griff und damit auf den einzigen Menschen einstach, der ihr nahestand. Hatte sie die Stiche gezählt oder nicht? Warum waren es genau achtzehn?
    Und wenn sie es doch nicht getan hatte? Aber wenn jemand die Blumen und die Pralinen gebracht hatte, warum trug Lilja Kolomejez dann noch ihren Bademantel? War der Besucher überraschend gekommen und hatte sich sofort auf sie gestürzt? Sie konnte nicht einmal mehr schreien. Doch warum hatte Ljussja nicht geschrien? Für achtzehn Messerstiche braucht man Zeit. Ljussja muss begriffen haben, was da passierte.
    Wenn das so weitergeht, fang ich noch an zu spinnen, dachte Nikolai wehmütig und hielt der Obdachlosen seinen Bierkrug hin.
    Sima trank gierig und rief, die Musik übertönend: »Krieg ich auch was zu futtern?«
    Nikolai schob ihr wortlos seinen Teller mit der halben Pastete hin. Die Musik brach ebenso abrupt ab, wie sie begonnen hatte, und plötzlich war es erstaunlich still. Sima wischte sich mit der Hand den Mund ab, griff nach dem Zigarettenstummel und wollte gehen, doch Nikolai lächelte freundlich und fragte: »Na, Sima, war der Teufel noch mal da?«
    »Was für ein Teufel? Was quatschst du da, Junge?«, flüsterte Sima mit weit aufgerissenen Augen und bekreuzigte sich rasch mit der zitternden Hand, die den Zigarettenstummel hielt. »Du

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