Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
die Augen zusammen, richtete sich im Bett auf und begriff plötzlich, dass sie nicht geträumt hatte. Das Zimmer drehte sich wirklich, und auch ihr Bauch tat wirklich weh. Das Krankenhausnachthemd und das Laken waren dunkelrot. Die Wäsche wurde schmutzig, sogar die Matratze,und die konnte man nicht waschen. Dafür würde man sie schrecklich ausschimpfen.
    Das Blut hörte nicht auf zu fließen. Ljussja versuchte, aus dem Bett zu kriechen, damit es auf den Boden floss – den konnte man wischen. Aber ihr war schwindlig, ihre Beine waren watteweich, und Ljussja schrie laut.
    Sie durfte nicht schreien, sie wusste, auf ihr Schreien würden Ärzte kommen, böse werden und ihr eine Spritze geben.
    Sie musste aufhören und stillliegen, aber sie schrie immer weiter. Die Nachtschwester kam herein und wollte ihr die Decke herunterziehen. Ljussja hatte sie sich über den Kopf gezogen, sich in der stickigen, warmen Dunkelheit verkrochen.
    »Was soll denn das! Hör auf!«, schimpfte die Schwester.
    Zwei Pfleger kamen herein. Sie rissen Ljussja die Decke herunter und entdeckten das Blut. Die Schwester schrie auf und brüllte Ljussja an. Sie glaubte, Ljussja hätte sich etwas angetan.
    »Sie hätte nachts fixiert werden müssen!« kreischte die Schwester, warf das blutige Laken auf den Boden und suchte unter der Matratze nach einer Glasscherbe oder Ähnlichem, womit Ljussja sich verletzt haben konnte.
    »Wozu sind solche Missgeburten bloß auf der Welt?«, knurrte sie, an die Pfleger gewandt.
    Ljussja verstand den Sinn dieser Worte nicht, sie hörte sie nicht einmal, weil sie so laut schrie, sah aber die Bosheit und den Ekel in den Augen der Schwester und schrie deshalb noch verzweifelter.
    Schlimmer als die Spritzen, schlimmer als jeder Schmerz war es für Ljussja, wenn andere schlecht von ihr dachten. In ihrer Vorstellung waren die bösen Gedanken anderer etwas ganz Konkretes, das man spüren und riechen konnte. Böse Gedanken rochen nach faulen Eiern und saurem Erbrochenem.
    »Die blutet ja wie ein Schwein.« Der Pfleger schüttelte den Kopf. »Verdammte Scheiße! Ich wollte mich grade hinlegen,nun kann ich mir wegen der Sauerei hier die ganze Nacht um die Ohren schlagen.«
    »Was ist eigentlich passiert?«, erkundigte sich der zweite Pfleger phlegmatisch. »Wo kommt denn das Blut her?«
    Endlich erschien der diensthabende Arzt. Die Nadel drang so schnell ein, dass Ljussja es nicht einmal spürte. Sie wurde hochgehoben und auf eine Trage gelegt. Für einen kurzen Moment sah sie sich selbst von außen, das dicke, zerzauste Mädchen auf der Trage. Das Gesicht des Mädchens war blass, die Augen waren geschlossen, von der Schläfe rann kalter Schweiß auf die Wange herab. Alle hassten dieses Mädchen – die Pfleger, die Krankenschwester, der Arzt, der ihr die Spritze gegeben hatte, und auch Ljussja hasste es.
    Die Trage wurde auf die Straße hinausgerollt, in ein Auto geschoben, und eine Sirene heulte auf. Ljussja sah wie aus der Ferne das flackernde Blaulicht, das breite rote Gesicht des Sanitäters, das belegte Brot und die Bierbüchse in seiner Hand, und sie hörte gedämpfte Stimmen und Lachen. Das alles betraf sie nicht mehr. Sie befand sich nicht in einem Rettungswagen, sondern saß mit ihrem Rucksack am Tor des Kinderheims und wartete auf Tante Lilja.
    Die Sonne scheint ihr ins Gesicht, Vögel singen, Ljussja pflückt eine Pusteblume und bläst mit aller Kraft darauf. Winzig kleine Fallschirme steigen auf und schweben langsam durch die heiße Luft; Ljussja streckt die Hand aus, um sie zu fangen, kitzelnd landen sie darauf, sie bläst sie erneut fort und lacht. Es riecht nach trockener, sonnenwarmer Kamille, Ljussja hat keine Schmerzen, niemand schimpft mit ihr, und da erscheint schon die schlanke Gestalt von Tante Lilja am Tor. Tante Lilja kommt den Weg entlang, um Ljussja abzuholen, aber sie läuft und läuft und kommt nicht näher. Ljussja ist warm, in ihrer Brust bebt und klingelt es sanft, als habe sich ein fröhliches Kristallglöckchen darin niedergelassen.
    Beim Ausladen der Trage ließen die Sanitäter Ljussja beinahe fallen.
    »Geht das nicht behutsamer?«, schimpfte jemand, und die Stimme klang fast wie die von Tante Lilja. »Das ist schließlich ein Kind, kein Sack Lumpen.«
    Ljussja wurde hochgehoben und wieder hingelegt. Sie war fast wach, fürchtete sich aber, die Augen zu öffnen. Sie spürte die Berührung von eiskaltem Metall und Gummihänden, unterschied deutlich leise Stimmen, den intensiven Geruch nach

Weitere Kostenlose Bücher