Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
benommen. Tolik erbot sich, sie zu begleiten, und führte sie durch endlose dunkle Durchgangshöfe, hin und wieder blieben sie stehen und küssten sich. Dann gingen sie in einen stinkenden Hausflur, stiegen die Treppe hoch, Tolik sagte etwas von Geld fürs Taxi, schloss eine schrundige Tür auf und führte Marina durch einen langen, halbdunklen Flur. In einem ärmlichen kleinen Zimmer lag eine Matratze auf dem Boden – Marina hätte sich am liebsten sofort hingelegt und wäre eingeschlafen. Tolik machte Musik an, erklärte, er wolle Kaffee kochen, schenkte ihr jedoch statt Kaffee Wodka ein, der sie endgültig betäubte. Mühelos warf Tolik sie auf die Matratze.
    Ohne etwas anderes zu spüren als betrunkene Übelkeit und Schmerzen im Unterleib, schlief Marina ein. Als sie erwachte, war nicht mehr Tolik bei ihr, sondern ein fetter, behaarter Kaukasier um die fünfzig. Sie wollte schreien, doch der Mann presste ihr seine schweißnasse Hand auf den Mund, und einanderer packte ihre Arme und presste die Handgelenke zusammen – Tolik.
    Bevor der Kaukasier ging, legte er Geld hin. Tolik gab Marina die Hälfte und beglückwünschte sie zu ihrer ersten mit ehrlicher Arbeit verdienten Kohle. Am selben Tag kamen noch zwei kahlgeschorene picklige Jungen und vergnügten sich mit ihr erst nacheinander, dann gemeinsam. Wieder gab Tolik ihr die Hälfte des Geldes.
    Sie konnte nicht genau erklären, vor allem sich selbst nicht, warum sie nicht weggelaufen war aus der schmutzigen Gemeinschaftswohnung. Sie hätte die Gelegenheit gehabt. Aber erst war ihr einfach schwindlig und die Beine knickten ihr vor Schwäche ein, dann verwirrte sie das an nur einem einzigen Tag verdiente Geld, und überdies fand sie ihr ganzes bisheriges Leben, die triste Siedlung, wo die Jungen mit zehn anfingen zu trinken, die Schule, das Zuhause, die ewig betrunkene kranke Mutter, den ständigen Hunger, die Langeweile und Ausweglosigkeit weit schlimmer als diese Wohnung mit der Matratze und dem fröhlichen schnurrbärtigen Tolik.
    Hauptsache, ich fange nicht an zu trinken und hänge nicht an der Nadel, dachte Marina, jeder verdient sein Geld, wie er kann. Wenn ich genug zusammen habe, kaufe ich mir eine Wohnung, und dann heirate ich vielleicht einen guten Mann. Moskau ist nicht Katuar, hier kann man sich mühelos vor seiner schlimmen Vergangenheit verstecken. Aber fürs Erste braucht man Geld, sonst ist man verloren.
    Nach einer Woche fuhr sie nach Katuar, erklärte ihrer Mutter, sie gehe jetzt auf die Berufsschule, ließ ihr fünfzig Rubel da, packte ihre Sachen und ging zurück zu Tolik.
    Einige Monate lebte sie in seinem Zimmer in der Gemeinschaftswohnung, und er sorgte für Kunden. Auch in den übrigen zehn Zimmern lebten Mädchen, aber erfahrenere als sie. Marina war knapp fünfzehn, wirkte jedoch älter.
    Allmählich konnte sie die Gesichter, Stimmen und Gerüchenicht mehr unterscheiden, war ständig erschöpft und fühlte absolut nichts. Sie mied Alkohol und Drogen. Alle anderen in diesem Bordell tranken und fixten, es war schwer, da nicht mitzumachen, aber Marina schaffte es. Sie hatte einen schlichten und tröstlichen Plan: Sie sparte für eine Wohnung, dann würde sie sich von diesem grässlichen Leben trennen.
    Doch ähnliche Pläne hegten fast alle Mädchen. Die Zeit verging, aber die nötige Summe wollte nicht zusammenkommen. Marina dünkte sich klüger als die anderen, trug ihr Geld zur Sparkasse und behielt nur einen kleinen Rest für laufende Ausgaben.
    Nach einem halben Jahr machte die Miliz eine Razzia in der Gemeinschaftswohnung, und die Höhle wurde geschlossen.
    Dann folgten andere Bordelle, andere Zuhälter und Kunden. Marina blieb fest, trank kaum und nahm keine Drogen. 1988 hatte sie eine ansehnliche Summe auf dem Sparbuch, doch dann kam die erste Geldentwertung, und ihr blieb nichts als die bittere Erinnerung. Marina arbeitete nun auf der Twerskaja. Das war riskanter, brachte aber mehr Geld, manchmal sogar Valuta. Und genau das wurde Marina zum Verhängnis. Eines Tages beschloss sie, fünfzig Dollar vor ihrem Zuhälter zu verstecken, und wurde von ihrer Partnerin verpfiffen. Ob nun aus diesem oder einem anderen Grund – jedenfalls wurden bei der nächsten Razzia bei Marina fünf Päckchen Heroin gefunden.
    Die drei Jahre Haft waren eine Art Atempause. Marina nähte blaue Arbeitskittel, betätigte sich in einer Laienspielgruppe und schlief und erwachte leichten Herzens, weil es ringsum keine Männer gab, Kunden oder Zuhälter, die sie

Weitere Kostenlose Bücher