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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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versprochenen Einsatzwagen zu warten oder rauszukriechen, zum Haus zu rennen, in die Wohnung zu laufen, sich einzuriegeln und dort zu warten.
    Sie schaute vorsichtig durch die Türöffnung zur Treppe. Von den drei verbliebenen Stufen waren zwei durchgebrochen.
    »Das war also das Knacken. Und wie kommen wir nun runter, Mascha? Müssen wir wohl springen.«
    Mascha fest an sich gepresst, sprang Xenia vorsichtig hinunter in den weichen Sand. Den Weg vom Spielplatz bis zur Haustür legte sie in einer Minute zurück, und erst im Lift entdeckte sie, dass sie sich beim Springen einen Ellbogen am Geländer zerschrammt und sich einen Splitter in den Fuß gerammt hatte.

Zwanzigstes Kapitel
    Borodin hörte der kahlköpfigen Obdachlosen zu, ohne sie zu unterbrechen.
    Marina Botscharowas Geschichte war simpel und schrecklich. Als sie vierzehn geworden war, fuhr sie, ein hübsches, lebhaftes Mädchen, auf der Suche nach Spaß und Abenteuern zusammen mit mehreren Freundinnen häufig von ihrer langweiligen Vorortsiedlung Katuar nach Moskau. Das Geld war knapp, die Versuchungen zahlreich. Sie schlenderten durchs Stadtzentrum, gingen in Diskos und fuhren zurück nach Hause. Sie wünschten sich sehnlichst, einen Moskauer Jungen kennenzulernen, einen Studenten, und träumten von der großen Liebe. Ihre Vorstellungen bezogen sie aus Filmen: Cocktails in einer halbdunklen Bar, Musik von Adriano Celentano oder Joe Dassin, Tanz Wange an Wange. Anschließend ein Spaziergang zu zweit durch die geheimnisvolle nächtliche Stadt, Arm in Arm; er erzählt ihr, wie einsam erist und dass er sein ganzes Leben nur auf sie gewartet hat, sie küssen sich auf dem Twerskoi-Boulevard – der Rest war unwichtig. Hauptsache, es lief ab wie im Kino, voller Romantik.
    Moskau, geschäftig, gleichgültig und taub für die schlichten Mädchenträume, jagte an ihnen vorbei, bespritzte sie mit Straßendreck, stieß ihnen spitze Ellbogen in den Leib, atmete ihnen Alkoholdunst ins Gesicht, bedachte sie mit Flüchen und spöttischen, hochmütigen Blicken, beleidigender als Schmutz und Obszönitäten. Nirgends ein Hauch von Liebe, im Gegenteil, es roch nach Tristesse, Müll, Mörtel und schmutzigen öffentlichen Toiletten.
    Eines Tages beschloss Marina, in der großen Stadt lieber allein nach ihrer großen schönen Liebe zu suchen. Auf ein einzelnes Mädchen würde bestimmt jemand anbeißen. Also fuhr sie ohne ein Wort zu den Freundinnen eines Tages mitten in der Woche allein in die Hauptstadt. Bescheiden gekleidet, ohne Glitzer und Glimmer, schlicht und alltäglich: enge Jeans und ein kurzärmliges Baumwollshirt. Schon in der Vorortbahn spürte sie ganz andere Blicke auf sich ruhen als sonst – echte männliche Blicke, die interessiert ihre große runde Brust unter dem dünnen T-Shirt abtasteten und über ihre vollen roten Lippen glitten.
    Als sie sich in den Spiegeln eines Kaufhauses kritisch musterte, fand sie, dass sie in dieser bescheidenen Aufmachung viel wirkungsvoller aussah. Und tatsächlich – ihr dreistündiger Spaziergang war von Erfolg gekrönt. In einer Teestube auf dem Gogol-Boulevard setzte sich ein sympathischer junger Mann zu ihr: kurzes dunkles Haar, kluge braune Augen. Mit der runden Brille und dem sauber gestutzten Schnurrbart erinnerte er Marina an einen Schauspieler, dessen Name ihr nicht einfiel. Der junge Mann lud sie zu armenischem Kognak ein und bestellte ihr Schnittchen mit Lachs und schwarzem Kaviar. Der Lachs war unglaublich salzig und der Kaviar hart und trocken wie Sand, aber Marina wurde zumersten Mal so schick eingeladen und trank zur Feier des Tages zweihundert Gramm Kognak. Erst schwindelte sie, sie wohne in Moskau, ihre Mutter sei Buchhalterin in einem großen Kaufhaus und ihr Vater Werkdirektor, doch dann gestand sie ihrem neuen Bekannten die Wahrheit.
    Sie erzählte von der Siedlung Katuar, von ihrer Mutter, die Invalidenrentnerin war und rund um die Uhr trank, von ihrem Vater, der wegen Diebstahls irgendwelcher Traktorersatzteile im Gefängnis saß, davon, dass niemand auf der Welt sie brauchte und keiner sie vermissen würde, wenn ihr etwas zustieße.
    Der Mann hörte ihr mit aufrichtigem Mitgefühl zu, streichelte ihre Hand und ihre Wange. Er hieß Tolik, war dreiundzwanzig und sagte, er studiere an einer Hochschule.
    Sie verließen die Teestube zusammen, sahen sich in einem Programmkino eine alte französische Komödie an und küssten sich in der letzten Reihe. Marina war von dem Kognak und den langen, nassen Küssen ganz

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