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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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nicht?«
    »Ich warte.«
    »Auf wen?«
    »Auf Besuch. Geh wieder schlafen, Mama.«
    »Es ist zwei Uhr nachts. Was für ein Besuch? Eine Frau?«
    »Ja. Jung und hübsch.«
    »Dann ziehe ich mich rasch an und mache etwas zu essen«, sagte Lydia aufgeregt. »Aber wie du aussiehst! In diesem Aufzug, das gehört sich doch nicht! Zieh dich sofort um!«
    Borodin trug eine alte, ausgeblichene Jeans mit Hosenträgern, ein verwaschenes blaues T-Shirt und Pantoffeln an den nackten Füßen.
    »Mama, geh schlafen, bitte. Es ist ganz und gar nicht, was du denkst. Der Besuch ist rein dienstlich. Du kennst sie übrigens. Warja Bogdanowa.«
    »Warja?« Lydia machte große Augen. »Was hat sie denn mit deinen achtzehn Messerstichen zu tun?«
    »Mama, bitte!«, flehte Borodin.
    »Aber ich muss sie doch wenigstens begrüßen. Augenblick!«
    Lydia hatte Warja, das arme Opfer des Psychopathen, einmal im Krankenhaus besucht und sie später in der Universität der Künste wiedergetroffen, wo Lydia jedes Jahr Vorlesungen zur russischen Porträtmalerei des ausgehenden 19. Jahrhunderts hielt.
    »Sag bloß, das Mädchen steckt schon wieder in einer scheußlichen Geschichte?«, fragte Lydia, als sie im Hauskleid,gewaschen und gekämmt, in die Küche kam. Sie holte eine Schale mit Schokoladenkeksen aus dem Schrank, schaltete den Wasserkocher ein, und in diesem Augenblick klingelte es.
    »Sag mal, Mama, hast du Warja unsere Adresse gegeben?«, fragte Borodin rasch.
    »Ja, natürlich.«
    »Wozu?«
    »Was heißt, wozu? Sie hat mich darum gebeten, also hab ich sie ihr gegeben.«
    »Warum hat sie dich darum gebeten?«
    Aber Lydia hatte bereits den Hörer der Klingelanlage abgenommen und sagte: »Ja, Warja, komm rein.«
    Wieder in der Küche, spülte sie die Teekanne mit heißem Wasser aus und sah ihren Sohn an.
    »Sei nicht so misstrauisch. Warja hat dir eine Geburtstagskarte geschickt. Erinnerst du dich?«
    Es klingelte an der Tür, und Borodin ging öffnen.
    »Na, Sie sehen ja lustig aus!«, rief Warja und kam herein. »Wie Karlsson, mit diesen Hosenträgern. Guten Abend!«
    Lydia küsste sie, sagte, sie sehe großartig aus, schenkte Warja und Borodin Tee ein und ging wieder schlafen.
    »Galina Solodkina ist eine hochinteressante Person«, sagte Warja nachdenklich, als sie allein waren. »Im Grunde muss ich mich bei ihr bedanken. Ohne sie wäre ich noch immer ahnungslos. Ganz ehrlich, Ilja – haben Sie gegen die Dame etwas in der Hand? Hat sie irgendwie mit dem brutalen Mord zu tun?«
    »Das weiß ich noch nicht. Wenn, dann nur ganz am Rande.«
    »Schon klar, sie persönlich würde keinem ein Haar krümmen, aber einen Mord in Auftrag geben – das traue ich ihr durchaus zu.«
    Warjas Augen wurden ganz schmal und ihre Lippen weiß. Sie warf das Haar aus der Stirn, trank einen Schluck Tee undschwieg eine Weile, die Wimpern gesenkt und ihr afrikanisches Amulett in der Hand drehend.
    »Das hat sie mir übrigens geschenkt.« Sie warf die kurze Kette aus großen rosa, fliederfarbenen, hellblauen und grünen Steinen in die Luft. »Ein schönes Stück, nicht? Galina denkt, ich schlafe mit dem Alten, darum sucht sie meine Freundschaft. Ich habe nicht versucht, ihr das auszureden.«
    »Moment, Warja, bitte der Reihe nach. Erstens – wann und wie hast du sie kennengelernt?«
    »Im Mai, in Sotschi.«
    »Du warst bei dem Jubiläum?« Borodin wurde ganz heiß. »Warum hast du mir nichts davon erzählt?«
    »Sie wissen doch sowieso alles«, erwiderte Warja spöttisch, »denken Sie, ich weiß mehr?«
    Im Mai hatte in Sotschi ein Ereignis stattgefunden, über das noch heute bei den Sicherheitsorganen, im Innenministerium, in der Staatsanwaltschaft und beim FSB gesprochen wurde. Der Kriminelle Pnyrja war siebzig geworden, und dieses Jubiläum wurde in Sotschi eine ganze Woche lang gefeiert, mit den prominentesten Kriminellen aus Russland und dem nahen Ausland. Die märchenhaft luxuriösen Bankette, die Ströme von Kognak und Champagner, die Berge von Kaviar, die gewaltigen Störe, Spanferkel, die vielen Mercedes und Jeeps, die schönen Frauen aller Coleur, die Lobeshymnen, die erhabenen Glückwünsche – das alles stieg dem alten Kriminellen endgültig zu Kopf. Er fühlte sich unsterblich, und seine Wachsamkeit erlahmte.
    Auf Pnyrjas Empfehlung sollte bei der Jubiläumsfeier ein junger Krimineller mit Spitznamen Shmaka gekrönt werden. Die Zeremonie war schon beendet, als einer der Anwesenden, Kurilski, ein älterer Krimineller aus dem Fernen Osten, per Handy die

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