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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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Wochen überwiegend allein oder mit den beiden Brońskischwestern Ziuta und Wanda. An einem Tag standen sie früh auf und brachen zu einem langen Ritt auf. Es war ein strahlender Morgen, und die Uferschwalben flogen hoch über dem Fluß.
    Ziuta führte sie durch die Wiesen und auf die hohe Uferböschung dahinter. Der eine oder andere Kahn querte im Bogen den Fluß, mit Viehfutter und Zaunstangen beladen und einer mit einem mächtigen rotbunten Stier.
    Bei der ersten Biegung nahmen sie den Weg landeinwärts. In leichtem Galopp ritten sie an den sprießenden Roggenfeldern vorbei, schleuderten Fladen getrockneten Schlamms von ihrem Weg hoch und bogen dann auf einen Graspfad ein, der sich zwischen den Bäumen hindurchwand.
    Den ganzen Morgen ritten sie immer tiefer in den Wald hinein. Sie sahen nur einige Waldarbeiter und Holzfäller und nach einer Stunde überhaupt niemanden mehr. Es war etwa Mittagszeit, als das Geräusch von Axtschlägen durch die Bäume drang. Sie gelangten auf eine Lichtung. Drei Wohnwagen umstanden längsseits ein großes Feuer. Rußgesichtige Kinder kamen zu den Pferden gerannt und hauten ihnen mit Stöcken gegen die Beine.
    »Laßt das!«
    Auf den Stufen des nächststehenden Wohnwagens erschien eine ältere Frau in leuchtendbunter Schürze; ein großes Stück Bernstein schwang an ihrem Hals, als sie die Stufen hinunterstieg.
    Ziuta flüsterte: »Das ist Marucha! Sie ist eine berühmte Hellseherin!«
    Marucha linste zu ihnen hinauf. »Was habt ihr für mich?«
    Die Brońskas holten jede einen Silberrubel hervor. Helena fummelte in ihrer Rocktasche und zog das goldene Fünfrubelstück heraus, das ihre Mutter ihr für die Rückreisemitgegeben hatte. Marucha nahm es und drehte es um. Dann lächelte sie und deutete auf eine Bank beim Feuer.
    Helena war besorgt, die Goldmünze könne den Spruch der Zigeunerin irgendwie beeinflussen, aber als sie später an jenes Zigeunerlager dachte und daran, was ihnen da gesagt worden war, entdeckte sie, daß Maruchas Weissagungen auf merkwürdige Art wahr waren.
    »Du hast eine Hand mit allen Gnadengaben und rettenden Zeichen.« Marucha fuhr mit dem Finger über Helenas Handteller. »Ich sehe eine Kiefer allein in der Steppe, stark und unerschrocken, aber eine einsame Kiefer, immer allein. Um sie herum ist ein kleines Unterholz, Sämlinge, und jetzt kommt da ein großes Feuer. Da sind Männer mit Äxten, aber ich kann ihre Gesichter nicht sehen. Sie kommen nicht bis zu den Sämlingen, und das Feuer bleibt ein kleines Stück entfernt.«
    Als nächstes nahm sie Ziutas Hand und sagte, sie zeige genau das gleiche Leben und die gleiche Erziehung. »Aber hier ist die Kiefer krumm und wird von anderen bedrängt. Und jetzt kommt das Feuer und die Männer mit den Äxten auch, und die krumme Kiefer ist fort.«
    Helena ergriff Ziutas Arm und sagte auf englisch: »Denk dir nichts dabei. Das ist doch bloß Unsinn!«
    Aber als das große Feuer wirklich kam, über ein Vierteljahrhundert später, wurde Ziuta als Frau eines polnischen Generals gefangengenommen; sie starb in einer feuchten sowjetischen Gefängniszelle.
    Marucha zog einen Stoß Spielkarten hervor. Sie gab sie Helena, die abhob und sie ihr zurückgab.
    »Denk an den, der in deinem Herzen ist, Mädchen, und dann denk an eine Karte.«
    Ziuta beugte sich vor. »Wer ist es? Bitte, Hela, sag’s ganz leise!«
    Helena nannte Józef, Ziutas Vetter, einen gefühlsbetonten dunkelhaarigen Mann, der zweimal mit ihr getanzt hatte und in Wilna einmal mit ihr Schlittschuhlaufen gegangen war. Für sie war das unzweifelhaft Liebe.
    Marucha musterte prüfend die Karten. Sie streckte die Hand aus, sie fiel auf den Kreuzbuben.
    »Hattest du den gewählt?«
    Helena nickte. »Woher hast du das gewußt?«
    »
On ciebie do ołtarza poprowadzi
. Dieser Mann«, winkte sie mit der Karte, »wird dich zum Altar führen.«
    Am Tag von Helenas Hochzeit im Jahr 1920 hatte die Rote Armee Wilna eingenommen. Nur wenige waren in der Lage, zur Kirche in Platków durchzukommen. Es fiel Józef zu, dem Vetter der Brońskis, Helena durch das Kirchenschiff zu geleiten und ihrem Gatten zuzuführen.
     
    Von Klepawicze aus fuhren Zofia und ich in den Wald hinein. Nach mehreren Kilometern erreichten wir einen Friedhof. Auf einem Obelisken in der Mitte des Friedhofs waren die Namen vieler Brońskis herausgemeißelt   – von Władysławs und Józefs, Marias und Irenas.
    »Onkel und Tanten«, sagte Zofia vage.
    »Aber hier, Zosia, Stanisław Broński. Ist das

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