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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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besten, der Generäle, der Politiker, all der Männer, die seit dem Tod Pan Pawłowskis um Tante Ziuta herumscharwenzelten. Besonders gut gelang ihm stets ein italienischer Graf mit seinem Standardrepertoire schlecht gesungener Arien. »Und dann rutscht er auf den Knien zu ihr hin, so: ›Ihre Augen wie Juwelen, Liebste! O mein ‘erz, er ein Backofen . . .‹«
    Zu Andrzej entwickelte Helena eine engere Beziehung;er war der erste Mann, mit dem sie reden konnte. Er war der erste Mann, mit dem sie gern zusammen war, dessen Aufmerksamkeiten ihr kein Unwohlsein verursachten. Möglicherweise, schrieb sie, liebte sie ihn sogar.
     
    Für den Juli und den August zogen die O’Breifnes mit auf die Pawłowskische Datsche. Die Datsche befand sich in einem Dorf nahe Terioki in Finnland. Das Dorf lag inmitten unendlicher Wälder und war kaum mehr als eine lange Reihe von Holzhütten und rauchgrauen Birken. Am anderen Ende hatte man eine Gruppe größerer Häuser gebaut, und eines davon war das der Pawłowskis.
    Auf den Dorfwegen wuchs federndes Moos. Auf ihnen zogen langgliedrige Finnen einher, blaßgesichtig und schweigsam. Sie hielten Äxte umklammert. Aber in dem Dorf passierte nie etwas; es war ein Ort idyllischer Ruhe und machte Helena seltsam beklommen.
    Jeden Morgen ging sie in die lutherische Kirche, einen kleinen Holzbau, der nach Staub und Kampfer roch. Helena, die immer eine dunkle Samtjacke trug, setzte sich stets auf dieselbe Seite. Der Gottesdienst wurde von einem weißbärtigen Geistlichen und seinem frommen Sohn Peter abgehalten. Unter den strohblonden Haarfransen pflegte Peter Helena über den Rand des Abendmahlkelchs hinweg anzustarren und durch Hochziehen seiner strohblonden Augenbrauen aufzufordern, das Sakrament zu empfangen. Sie gewöhnte sich an, rasch den Blick zu senken.
    Eines Nachmittags aber klopfte es, und vor der Tür stand Peter. Er hielt einen Strauß Vergißmeinnicht in der Hand. Er trug einen grauen Anzug und eine leuchtendblaue Krawatte. Er bat Gott um Vergebung und sagte aufenglisch: »Miss Helena, you are the most woman I have seen. Please come walking on me!«
    Sie hielt es nur für recht und billig, nicht mehr zur Kirche zu gehen.
    Helena lernte für ein Examen. Im Oktober sollte sie ein Englischdiplom ablegen, und eine Miss Gardner kam aus Petersburg, um ihr Stunden zu geben.
    Miss Gardner war eine herumreisende junge Londonerin, die Onkel Priester soeben in die katholische Kirche aufgenommen hatte. Sie war erst zweiundzwanzig, hatte langes helles Haar, das sie sich bandagenähnlich um den Kopf flocht; sie trug grüne Blusen und Bernsteinketten. Helena fand den Unterricht bei ihr sehr langweilig. Sie erinnerte sie an ihre Mutter, und das nahm ihr immer alle Lust.
    »Also, sprechen Sie mir jetzt nach«, sagte Miss Gardner. »›From her unhasty mule she did descend, and on the grass her dainty limbs did lay . . .‹«
    Helena wiederholte die Verse, aber in Wahrheit waren ihre Gedanken woanders   – in Petersburg, in den Lindenalleen von Wilna, bei Andrzej. Der Anblick des gezackten Horizonts aus Bäumen vom Fenster aus wurde ihr vertrauter als irgend etwas von Wordsworth, Spenser oder Chaucer.
    Helena verfiel in hochsommerliche Lethargie. Zur Gesellschaft in ihrem Alter hatte sie nur Maria Pawłowska. Florian war zwar auch da, aber sein Verhalten war selbst für jemanden wie ihn sehr sonderbar. Er stand lange vor den anderen auf und stolperte zur Frühstückszeit bei der Vordertür herein, mit flackerndem Blick, den Mantel dornengespickt.
    Er wollte nichts essen, und Tante Ziuta gab es schließlich auf.
    Eines Abends war Helena zum Blumenpflücken einStück weit in den Wald gegangen. Die Schatten lagen düster über dem Weg. Am obersten Kronensaum der Kiefern tanzten Mückenwolken vor blauem Himmel; in den Wipfeln schlugen Finken. Harzgeruch verdichtete sich in der Sommerluft.
    Helena murmelte träge vor sich hin: ». . . And on the grass her dainty limbs did lay . . . and on the grass her dinty dibs did lay . . . and on the path the stupid
anglais pays
. . . and on the grass . . .«
    Als sie sich bückte, um eine Orchidee zu pflücken, sah sie eine Gestalt durch die Bäume wandern. Es war Florian. Er sah sie und kam zu ihr her. Er sagte nichts. Seine Schläfen waren schweißnaß und seine Augen weit aufgerissen. Er stand da, hechelnd wie ein Hund, dann streckte er die Arme nach ihr aus. Helena ließ ihre Blumen fallen und rannte zum Dorf zurück.
     
    Ein paar Tage später, in der

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