Das Haus der Bronskis
Gedächtnis behielt. »Ich habe nie einen so schönen Mann gesehen«, schrieb sie später. »Gott hat die Form zerbrochen, nachdem er Jussupow erschaffen hatte.«
Samstags gaben die Pawłowskis Tanzabende. Einen davon, kurz vor Beginn der Fastenzeit, ernannte Tante Ziuta zu einem Ball. Es war Pan Pawłowskis Geburtstag. Waldemar hatte sich überreden lassen, seiner Mutter zuliebe zur Eröffnung des Abends einige Mozartarien zu singen und anschließend, seinem Vater zuliebe, polnische Volkslieder zur Balalaika.
Hinterher trat er mit schweißglänzender Stirn zu Helena.
»Bravo!« sagte sie. »Dein Vater war begeistert.«
»Das ist mir ganz gleich. Ich habe nur für dich gesungen, Helenka.«
»O Waldemar, was für ein Blödsinn!«
Später tanzte sie mit ihm – eine Polka –, es war ihr erster Tanz auf einem Ball. Danach suchte sie ihre Mutter. Sie fand sie in Tante Ziutas Salon, wo sie in einer Gruppe von Polinnen saß und sich Kühlung zufächelte.
»Mama! Du hast den Tanz verpaßt. Ich habe mit Waldemar getanzt, und du hast es verpaßt!«
»Hat es dir gefallen, Liebes?«
»Oh, ja!«
»Nun, du wirst nicht noch einmal mit ihm tanzen.«
Der Abend ging weiter. Tante Ziuta saß, flankiert von einem Paar junger Husaren, vor den Musikern. Ein Lächeln knitterte ihr kaltes Gesicht. Vor ihr wirbeltenMitglieder des Kadettenkorps über das Parkett. Mit ihren herausgeputzten Partnerinnen tanzten sie Polkas und Quadrillen, eine Écossaise und einen Pas de châle. Waldemars Mähne hüpfte über den Köpfen der Russen. Ein- oder zweimal durchquerte Pan Pawłowski den Ballsaal, die Hände auf dem Rücken, unempfänglich für alles ringsum, in tiefem Gespräch mit diesem oder jenem Minister.
Für Helena war der Höhepunkt des Abends die Heimfahrt. Vor ihr lag das mondbeschienene Petersburg; die Dächer waren weiß von Rauhreif, die Newa bugsierte ihre Fracht Eisschollen in den Finnischen Meerbusen. Helena, noch schwindlig vom Tanzen, lauschte unter ihren Pelzen dem Sirren der Kufen und dachte, wie schön es doch war, wieder allein zu sein.
Bald darauf nahm Tante Ziuta sie eines Abends beiseite. »Hela, ich weiß nicht, was los ist. Halb Petersburg ist in dich verliebt, und du nimmst nicht die geringste Notiz davon! Sieh dir deine Kleider an. Schämst du dich wegen deines Aussehens?«
»Nein.« Aber sie wußte, daß sie es tat.
»Wovor hast du Angst?«
»Ich weiß nicht.«
»Vor mir?«
»Nein, vor dir nicht«, sagte sie.
»Vor deiner Mutter?«
»Vielleicht.«
»Und sicher auch vor dieser eurer unglückseligen Kirche! Du mußt lernen, unbekümmert zu sein, Helena, merk dir das.«
»Unbekümmert?«
»Du mußt lernen, deine Schönheit wie einen Scherz zur Schau zu tragen. Je größer die Leichtigkeit, mit der du damitumgehst, desto mehr werden die Männer dich anbeten. Mach dir immer klar, daß Männer wie Hunde sind.«
Mit einemmal begriff Helena, daß sie nicht recht hatte. »Aber ich liebe Hunde, Tante Ziuta! Über alles!«
»Genau«, sagte diese, und ein träges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht.
11.
I m Frühjahr
1916 trafen die Kriegsnachrichten Petersburg wie plötzliche Wetterwechsel, mal waren sie gut, mal schlecht, immer überraschend. Die Deutschen hatten ihren Vormarsch im Winter verlangsamt, aber sie hatten sich mittlerweile in Wilna festgesetzt. Graf O’Breifne, Helenas Vater, hatte keinen Urlaub erhalten. Sein Regiment lag in Smolensk, und seine Briefe berichteten von Schlamm und Epidemien und von Wölfen, die verscharrte Leichen ausgruben.
Eines Frühsommermorgens stieß Helenas Mutter einen leisen Schrei aus und ließ die Zeitung fallen. »Großer Gott! Stanisław Pawłowski ist tot!«
Sie ging hinaus, um Tante Ziuta anzurufen. Helena hob die Zeitung auf; es stand keine Todesanzeige darin. Und als ihre Mutter wiederkam, sah sie verwirrt aus. »Stanisław selbst war am Telefon . . .«
Drei Tage später hatte Pan Pawłowski einen schweren Herzanfall; er war auf der Stelle tot. Die Trauerfeier fand in der Katherinenkirche am Newskij Prospekt statt. Der Sarg aus poliertem Ebenholz war mit Goldtressen umwunden. Tante Ziuta stand daneben in einer dichten Mantille und einem langen schwarzen Mantel. Während des gesamten Gottesdienstes bewegte sie sich nicht ein einziges Mal. Als die zahlreiche Gemeinde zum Gebet raschelnd niederkniete, blieb sie stehen. Sie starrte geradeaus, als wäre sie in Marmor gehauen: die Statue eines mythischen Imkers, dachte Helena.
In den folgenden Wochen
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