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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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für Tag an ihrem Bett. Er sah sie sterben. Seitdem brachte er nach Aussage seiner Schwestern seine Tage damit zu, in abgedunkelten Räumen zu sitzen und Gitarre zu spielen.
    Als Adam sich an Helenas Tisch setzte, schenkte er ihr ein mattes Lächeln; er erkannte sie nicht.
    Sie legte ihm die Karten. »Ich sehe hier ein Pferd ohne Reiter . . . und hier, die zwei Königinnen nebeneinander . . . Sie haben eine große Liebe verloren . . . Ich sehe ein Gebäude, es könnte ein Theater sein, und hier, den Tod, der in den Kulissen wartet . . .«
    Und sie fuhr fort, Einzelheiten aus Adams jüngster Geschichte aus den Karten zu lesen, während er sie noch immer nicht erkannte und ungläubig jedem Wort lauschte.
    Józef kam vorbei und legte Adam eine Hand auf dieSchulter. »Na, mein Lieber, heiratest du eine Fürstentochter oder stirbst du auf dem Schlachtfeld?«
    »Es ist unheimlich, Józef, was sie alles sieht!«
    Józef lachte. »Adam, bist du blind? Weißt du nicht, wer das ist? Es ist Helena O’Breifne!«
    Als er sie wieder anblickte, geschah das mit einer sonderbaren Mischung aus Überraschung und Respekt. Und laut Helena behielt er diesen Blick für sie bis zu seinem Todestag bei.
     
    Weihnachten 1919 war wie eine Heimkehr. Helena hatte das erstemal seit Jahren das Gefühl dazuzugehören. Wilna war voll vertrauter Gesichter. Es gab Feste und Tänze, und sie liefen Schlittschuh im Bernadyński Park. Kriegserlebnisse wurden ausgetauscht.
    Die verstörendste Geschichte oder zumindest diejenige, die sich Helena am schärfsten einprägte, stammte von Witek, einem entfernten Vetter.
    Witeks Familie hatte vor dem Krieg Pferdezucht betrieben. Als im Jahr zuvor die Bolschewisten kamen, hatten sie die Pferde auf den Stallhof hinausgeführt. Ein Pferd, ein Araberhengst, hatte plötzlich den bolschewistischen Truppenführer in Wut versetzt. Er stürmte über den Hof, sagte Witek, packte eine Sense und durchschnitt dem Hengst mit vier Streichen die Kehle.
    »Warum?« fragte Helena. »Ich meine, wie kann ein Pferd solchen Zorn auslösen?«
    »Weil es«, sagte Witek, »zu schön war.«
    Binnen kurzem wurde Witek im Haus der Päpstin von Wilna ein häufiger Besucher. Helenas Mutter bemerkte es lange vor Helena. »Also, Helena, noch ein Opfer! Sie fallen vor dir zu Boden wie die Tauben. Du solltest wirklich besser aufpassen.«
    Später nahm Onkel Bischof sie beiseite und sagte halb im Scherz: »Jetzt sind es drei   – Józef, Adam und Witek. Welchen wirst du heiraten?«
    »Keinen!« sagte Helena. »Ich gehe nach Krakau zurück und lerne für die Universität!«
    Und sie war ehrlich überzeugt, daß es so sein werde. Doch im Februar legte sie sich mit einer schweren Erkältung ins Bett und mußte ihre Rückkehr verschieben; im März war aus der Erkältung eine Lungenentzündung geworden. Sie hütete zwei Wochen das Bett, während die Lindenzweige ans Fenster pochten. Als der Arzt kam, sagte er, auf der einen Lunge habe sie Tuberkulose.
    Sie konnte nicht nach Krakau zurück. Ihre Mutter telegraphierte den Nonnen   – mit einiger Genugtuung   –, sie müßten sich eine Ersatzkraft suchen. Helena lag tagelang da, starrte auf die Lindenzweige, auf die Wolken. Sie dachte: »Ich kann nicht länger so leben, ich kann nicht ewig unter ihren Fittichen leben.« Und in ihrem geschwächten Zustand verwarf sie eine Möglichkeit nach der anderen, bis sie zu dem Entschluß kam: »Ich muß heiraten.«
     
    Dies nun waren nach Helenas eigenem Bericht die äußeren Umstände ihrer Verlobung.
    Es war ein klarer Frühlingstag. Sie lag im Bett. In ihr Zimmer schien hell die Sonne. Sie schrieb eine Nachricht an Touren-Józef, in der sie ihn dringend bat, sofort zu kommen. Panna Konstancja trug die Nachricht quer durch Wilna, und binnen einer Stunde war Józef an ihrem Bett. Er hatte Blumen mitgebracht und legte sie ihr auf die Bettdecke. Sie sagte ihm ohne Umschweife, was sie wollte.
    »Liebe Helenka«, sagte er, »ich kann dich nicht heiraten.Meine Liebe ist zu groß, um dir solches Leid zuzufügen. Ich bin alt und verschuldet. Ich würde einen unbrauchbaren Ehemann abgeben. Du solltest Adam heiraten.«
    Doch als er fort war, schrieb sie an Witek. Panna Konstancja trabte wieder los. Diesmal kehrte sie allein zurück: Witek war an diesem Morgen zur Front aufgebrochen.
    Also schrieb sie an Adam; er betrat ihr Zimmer mit einem spontanen offenen Lächeln.
    Sie sagte zu ihm: »Adam, du mußt mir gut zuhören. Was ich dir zu sagen habe, ist folgendes: Ich

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