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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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Zukunft. Mittags spazierten sie zum Haus zurück.
    Fünf litauische Soldaten standen auf der Treppe; sie waren gekommen, um Adam zu internieren.
    Niemand konnte etwas dagegen tun. Sie nahmen ihn mit, und Helena sah den Wagen in der Allee verschwindenund zwischen den Kastanien aufblinken wie eine Forelle im Bach.
    »Diese verdammten Litauer!« Helenas Mutter warf ihre Zigarette zu Boden.
    Am Nachmittag suchten sie und Helena den Bezirkskommandeur auf, einen Mann mit winzigen Augen, der seinen Haß gleichmäßig zwischen Polen und Gutsbesitzern aufteilte. Helena sah deutlich, daß er sich über ihr Unglück freute.
    »Pani Hrabina«, sagte er mit gekünstelter Ehrerbietung, »Sie müssen Verständnis haben. Die alten Länder gibt es nicht mehr. Rund um Ihr geliebtes Polen toben sechs Kriege, und wenn sie vorbei sind, wird ganz Europa geeint sein. Bitte haben Sie Geduld.«
    Geduld war etwas, was Helenas Mutter nicht leicht fand. Drei Tage tigerte sie pausenlos rauchend die Veranda auf und ab, bis Adam eines Morgens zwischen den Bäumen auftauchte. Er hatte vorgegeben, Arzt zu sein, und war so dem Internierungslager entkommen.
    In derselben Nacht verließen sie alle Platków, wie im Jahr zuvor flohen sie auf Ackerkarren. Adam drängte es, sich seinem Regiment anzuschließen. Sie fuhren westwärts, überquerten die Grenze nach Ostpreußen und erreichten Danzig auf einem kleinen Fischkutter; Helena war auf der ganzen Reise entsetzlich übel. Einige Tage später waren sie in Warschau, wo Adam Helena auf die Wange küßte und sich zu den 13.   Ulanen aufmachte.
    Das war die erste Woche ihrer Ehe gewesen.
     
    Die Rote Armee kreiste Warschau ein: sechs Armeen, über 100   000   Mann, marschierten rasch darauf zu. Alle Versuche, sie aufzuhalten, waren fehlgeschlagen. Polens kurze Unabhängigkeit lag in Trümmern. In Helenas Bericht jedochsteht nichts von dieser Bedrohung, sie zählt nur auf, wen sie gesehen und wo sie gewohnt hat, und erwähnt, daß sie Warschau »ziemlich heiß« fand.
    Lord d’Abernon, als Kopf einer alliierten Delegation in Warschau, verzeichnete in seinem Tagebuch die gleiche augenscheinliche Nonchalance:
     
    26.   Juli. Ich bewundere immer noch das Fehlen von Panik, ja, das offensichtliche Fehlen irgendwelcher Ängste . . . die besten Truppen sind sämtlich nach Lwow in Marsch gesetzt, so daß Warschau ohne Schutz ist.
    27.   Juli. Der Ministerpräsident, ein landbesitzender Bauer, ist fort, um seine Ernte einzubringen. Niemand hält das für außergewöhnlich. 2.   August. Die Sorglosigkeit der Menschen hier spottet jeder Beschreibung. Man könnte meinen, dem Land drohe keine Gefahr und die Bolschewisten wären tausend Meilen weit weg.
    3.   August. Die hiesige Bevölkerung hat so viele Invasionen erlebt, daß sie sie einfach nicht mehr beachtet.
     
    Als Piłsudski zwei Nächte später seine Möglichkeiten durchging, wurde ihm klar, daß die einzige Hoffnung auf Verteidigung im Angriff lag. Auf seinen Befehl hin wurde ein Großteil der polnischen Truppen abgezogen und entlang der Front eilig nach Süden in Marsch gesetzt, um der Roten Armee in den Rücken zu fallen und sie von der Nachhut abzuschneiden. Der Plan schien absurd, doch er funktionierte.
    Das »Wunder an der Weichsel«, so der spätere Name, war ein entscheidender Sieg. Nie wieder wurde die sowjetische Armee so eindrucksvoll geschlagen. Es folgte ein ungeordneter, blutiger Rückzug der Roten Armee. DasGebiet der Kresy wurde niedergetrampelt, von hungernden führerlosen Kosaken wie von nach Vergeltung dürstenden Polen.
    Im Oktober 1920 wurde ein Waffenstillstand ausgerufen, zu einem Zeitpunkt, als Polen eine über achthundert Kilometer lange Ostgrenze hielt. Als Augenzeuge lieferte Lord d’Abernon eine hyperbolische Wertung des polnischen Siegs:
     
    Die Schlacht bei Tours hat unsere Vorfahren vor dem Joch des Korans bewahrt; es ist anzunehmen, daß die Schlacht von Warschau Mitteleuropa und Teile Westeuropas vor einer größeren Umsturzgefahr bewahrt hat   – der fanatischen Diktatur der Sowjets.
     
    Tatsächlich erwies sie sich nur als Aufschub, ein Aufschub von zwanzig Jahren, in denen die landbesitzenden Familien Ostpolens überwiegend so weiterlebten wie zuvor.
     
    Im November wurde Adam demobilisiert. Er kehrte nach Warschau zurück und platzte mit seinem gewohnten Enthusiasmus zur Tür herein. Helena und er faßten den Plan, nach Mantuski zu fahren. Helena hatte nichts anzuziehen außer Sommerkleidern. An einem dieser

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