Das Haus der Bronskis
Tage begegnete sie auf der Straße ihrem Onkel Nicholas O’Breifne, und der gab ihr Geld für einen Wintermantel. Doch das Geld ging statt dessen für den Erwerb eines schwarzäugigen Dackelwelpen drauf. Helena nannte den Dackel Haust.
Am nächsten Morgen verließen sie, Adam und Haust Warschau mit einem der ersten Züge in die wiedergewonnenen Gebiete Ostpolens. Zwei Tage lang saßen sie auf amerikanischen Getreidesäcken, während Helena ihren Hund an sich drückte, um ihn warm zu halten.
In Lida wohnten sie bei einer jüdischen Familie. Als die alte Frau hörte, wohin sie wollten, schlug sie entsetzt die Hände zusammen. »Einsam im Wald? Wie können Sie jetzt dort leben?«
Am Morgen brachen sie früh auf. Sie luden ihre geringe Habe auf einen alten Wagen mit niedrigen Seitenwänden und einem hohen Kutschbock. Sie versicherten der jüdischen Familie, ihre Pferde seien in wenigen Tagen zurück.
Helena erinnerte sich gut an die Fahrt. Es war bitterkalt. Ein Eisnebel lähmte das Land. Nichts regte sich in jenem toten November; die Straße war nur eine Folge hartgefrorener Wagenspuren, der Narben Dutzender von Armeen. Und doch, sagte sie, schien alles hoffnungsvoll und neu: ein neues Heim, ein neues Polen, ein neuer Dackel, ein neuer Adam.
Sie fuhren schweigend. Die Zügel lagen leicht in Adams behandschuhten Händen. Sein Schnurrbart war in der Armee kräftiger geworden. Seine hohe Stirn stieg steil auf, bevor sie unter dem Schirm seiner bäuerlichen
czapka
zurückwich. »Wie sehr er diese
czapka
liebt!« dachte Helena. Und immer waren da seine grauen Augen mit den Falten in den Winkeln, seine Augen, die eine beständige unkomplizierte Freude ausstrahlten.
Den ganzen Morgen schlummerten die Wälder unter dem Nebel. Gegen Mittag lichteten sich die Bäume, und sie gelangten auf eine Ebene. Milchiges Sonnenlicht sickerte durch die Wolken; um die unbearbeiteten Felder zogen sich dicke Grasfransen. Die Straße führte über mehrere niedrige Hügel.
Sie kamen an einen kleinen Fluß; die Brücke war zerstört, und die beiden Pferde setzten ihre Hufe probeweise auf das dünne Eis, das nachgab. Sie durchquerten den Fluß, brachen allerdings bei jedem Schritt bis knapp überdie Fesseln ein. Adam stand auf dem Kutschbock und feuerte sie an, und schon bald sprangen sie das andere Ufer hinauf.
Er setzte sich wieder und begann von Mantuski zu reden. Er erzählte von seinen Besuchen dort im letzten Jahr und den Schäden, die er vorgefunden hatte. Die Russen hatten das Haus als Hauptquartier benutzt, und viele Möbel waren kaputtgegangen. Er hatte Reparaturen und einen Neuanstrich veranlaßt und neue Möbel bestellt. »Was ich gemacht habe, wird dir gefallen!«
Es wurde Nachmittag. In dem farblosen Zwielicht bogen sie von der Hauptstraße ab auf eine matschige Fahrspur, die sich durch die Bäume schlängelte und bei den Anwesen des Dorfs Mantuski endete. Die Häuser waren niedrig und braun, jedes von einem Lattenzaunkarree eingefaßt. Kahle Bäume standen verstreut zwischen den Häusern; dünne Rauchsäulen stiegen von den Schornsteinen auf. Helena konnte kaum erwarten, ihr neues Haus zu sehen.
Ein kalter Wind wehte durch die Kiefern. Geborstenes Eis lag auf dem Njemen. Der Himmel war schwarz, als sie durch das Dorf auf das Haus zufuhren. Es war kein Haus da.
Nie ma domu
. Nur der Schornstein der Ziegelei war stehengeblieben. Nicht ein einziges anderes Gebäude. Das Haus war bis auf die Grundmauern niedergebrannt worden.
Helena sagt nichts über Adams oder ihre Reaktion. Sie schreibt nur, daß es schon dunkel war, als sie den Njemen überquerten, und daß sie in die Nacht hinein weiterfuhren nach Druków.
Ein oder zwei von Onkel Nicholas’ Leuten waren in Druków – Rymszewicz (der 1915 den Konvoi angeführthatte), seine Frau und Janówa, die Köchin. Sie begrüßten Adam und Helena unter Tränen.
Adam brach am nächsten Morgen früh auf. Er mußte die Pferde nach Lida zurückbringen. Eine Woche später war er wieder da – kam aus dem Wald marschiert, stapfte durch den frischgefallenen Schnee im Park und stieg zum Haus hinauf. Über seiner Schulter hingen zwei Hasen. Er hatte ein, zwei Nächte in Mantuski verbracht; die meisten Gutsarbeiter hielten sich noch versteckt. Der Wiederaufbau, sagte er zu Helena, würde sofort beginnen.
18.
E s dauerte genau
drei Jahre, bis Mantuski wieder aufgebaut war. In der Zwischenzeit wohnten Adam und Helena in Druków, im alten Gutskontor von Onkel Nicholas, einem
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