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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Marsden
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Stefan aus Platków ein. Er führte zwei Stuten mit, Siwka und Gniadka, dieselben Pferde, die Helena und Adam nach ihrer Hochzeit gezogen hatten. Helena erkannte sie kaum wieder; sie standen im Hof, und die Reifen ihrer Rippen stachen aus ihren von Ausschlag bedeckten Flanken hervor. Stefan sagte, sie wären reif für die Wölfe, aber er wußte, sie würde Verwendung für sie haben.
    »Oioioi!« Sie schlug sich mit der Hand ans Kinn. »Diese Gerippe!«
    So krank sie auch waren, Siwka und Gniadka waren die beiden einzigen Pferde überhaupt in diesem toten Landstrich. Helena säuberte die Drukówer Ställe von altem Stroh und Spinnweben. Dreimal täglich schrubbte sie die Pferde mit einer Tabaklösung; sie betupfte die wunden Stellen mit Borsäure. Ihre Freundin, die Tatarin, förderte etwas Leinöl zutage, und damit rieb sie sie ein; jemand anders brachte Salz, und so bekamen sie Salz. Sie wechselte die Streu, pflegte sie, fütterte sie, redete mit ihnen, betete für sie   – und allmählich, ganz allmählich, kehrte ein wenig Leben in ihre müden Augen zurück.
    Mitte März drehte der Wind auf Süden; die Schneeflecken im Park tauten; ein, zwei milde Tage schlichen sich zwischen den Frösten ein. Die unbeweideten und ungepflügten Felder schienen den Wechsel der Jahreszeiten nicht wahrzunehmen.
    Unterdessen regte sich in den Kresy erstes Leben. Einmal pro Woche fuhr ein Zug nach Wilna, und hin und wieder brachte jemand aus Nowogródek einen Brief mit. Helena erhielt einen ihrer Mutter. Er war vom 20.   März datiert und kam aus Wilna:
     
    Tante Anna ist hier, schrecklich unglücklich. Alle Welt gereizt wegen der allgemeinen Knappheit. Wir haben das Haus in der Mała Pohulanka zurückerhalten. Komm nach Wilna, Liebes, solange Adam Mantuski wieder aufbaut. Dein Zimmer ist noch da. In ein paar Jahren bist du runzlig wie eine alte
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, wenn du weiter da draußen lebst . . .
     
    Helena lehnte ab.
    An einem Samstag Ende April tauchte Adam nach einer Woche in Mantuski mit langen Schritten auf der Auffahrtsallee auf, unter dem Arm eine sechs Tage alte Zeitung. Er rief den Haushalt zusammen   – Pan Rymszewicz und seine Frau und die Familien einiger von Helenas Schülern. In der niedrigen Nachmittagssonne stand Adam auf den Stufen und schob seine Mütze nach hinten.
    »Vom Sejm in Warschau! ›Im Namen Gottes des Allmächtigen!‹« las er. »›Wir, das Volk Polens, voll Dank gegen die Vorsehung für die Befreiung aus anderthalb Jahrhunderten der Knechtschaft, in dankbarem Gedenken an die Tapferkeit, die Ausdauer und die selbstlosen Kämpfe vergangener Generationen . . . wir verkünden und genehmigen hiermit dieses Verfassungsstatut in der Gesetzgebenden Versammlung der Republik Polen.‹«
    Ein zögerndes Hurra stieg von der kleinen Schar auf, und die Frauen küßten einander. Pan Rymszewicz eilte ins Haus. Mit Wodka und einem Tablett klirrender Gläser kam er wieder heraus.
    »Ein Hoch«, rief Adam, »auf Piłsudski! Auf Polen!«
    »Auf Polen! Auf die Republik!«
    Doch ein oder zwei Nichtpolen waren dabei, die seine Begeisterung nicht teilten und sich murmelnd ins Dorf, in ihre Häuser mit den leergefegten Regalen davonstahlen.
     
    Nach jenem Winter hatten Helena und Adam das unausgesprochene Gefühl, daß es nie wieder so schlimm kommen würde. Zwischen ihnen war nur von der Zukunft die Rede. Die Vergangenheit war ein Schattenort, und keiner von beiden hatte den Wunsch, ihn wieder aufzusuchen.
    Im April wanderte Helena mit Adam nach Mantuski. Es war eine Woche vor Ostern. Der Njemen führte Hochwasser, und der Fährmann Gregory mußte ziemlich kämpfen, um sie über den Fluß zu setzen.
    Am Bauplatz waren kaum Fortschritte zu sehen. Er war geräumt; neben den Bäumen lag ein Stoß verkohlter Balken; die alten Mauern waren abgerissen, und die
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hatten angefangen, die Steine zu sortieren. Aber es mangelte ihnen an allem   – an Material, Werkzeug und Zeit. Helena war ganz elend bei dem Gedanken, wie lange es dauern würde. Sie kehrte voller Pläne nach Druków zurück, und einer davon war, eine Bienenzucht anzufangen.
    Etwa eine Woche später entdeckte Pan Rymszewicz einen Schwarm im Stamm einer alten Eiche. Sie hackten den Teil nachts heraus, setzten ihn im Obstgarten auf Holzständer und bauten am frühen Morgen einen Bienenkorb und drei Rahmen. Nun ging Helena daran, den Schwarm in den Bienenkorb umzusiedeln. Während sie ein rauchendes Schilfbündel schwenkte, schnitt sie das Wachs mit den Eiern darin

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