Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
wollte, dass ich aufstand und ihm folgte.
„Was ist“, fragte Alec leise, als ich mich unwillkürlich dem Unsichtbaren an meiner Seite entgegenneigte.
„Das Kind ist da ... Mathilde. Sie will, dass ich mit ihr komme.“ Ich stand auf. Das Kind war sichtlich erfreut, dass ich mich bereit zeigte mit ihm zu gehen. Das Ziehen an meiner Hand wurde kräftiger, als hätte meine Zustimmung ihm eine Energie verliehen, die es vorher nicht hatte. Es strebte entschlossen in Richtung Treppe, und irgendein sechster Sinn verriet mir, dass es in die höheren Regionen des Hauses wollte, hinauf in den Dachboden.
Alec war aufgestanden, Robert desgleichen, und auch einige der Gothics hatten sich erhoben; die anderen blieben jedoch sitzen, um den Strom der ankommenden Gestalten nicht zu unterbrechen. Draußen war es stockdunkel geworden. Im Haus war es stickig und heiß. Die vielen brennenden Kerzen verzehrten den Sauerstoff in der Luft und erfüllten die Räume mit einem bitteren, brandigen Dunst. In schweigendem Einverständnis verzichten wir alle darauf, das elektrische Licht anzudrehen, und griffen stattdessen nach Kerzen. Bizarre, unruhig wabernde Schatten folgten uns, als wir die Treppe hinaufstiegen. Alec ging voran, und da ihm jede Stufe Mühe bereitete, mussten wir uns gedulden, bis er mit seinem schwerfälligen, vom Stock gestützten Schritt eine nach der anderen erklommen hatte.
Es war aber nicht allein seine Behinderung, die ihn hemmte. Kaum hatten wir den Fuß auf die erste Treppenstufe gesetzt, da spürte ich, wie sich uns eine bösartige Gegenwart entgegenstemmte. Ein klobiger Schatten war es, dem Gefühl nach der eines Mannes, aus dem in Höhe der Augen zwei kleine böse Lichtlein funkelten. Er hing verschwommen über der gesamten Breite der Stufen. Ich spürte, dass er seine gesamte Energie aufbot, um sich uns in den Weg zu stellen. Es wurde kalt auf der Treppe, eiskalt, als das Ding alle Wärmeenergie der Umgebung aufsaugte und in sich hinzuziehen versuchte. Ich spürte, wie Mathilde verzagte, ihr Griff wurde so schwach, dass ich ihn kaum noch spürte.
„Hab keine Angst“, flüsterte ich. „Wir sind stärker als er, wir schaffen es.“
Der Griff wurde wiederum deutlicher fühlbar.
Alec hatte das unheilvolle Wesen genauso wahrgenommen wie ich, und er war kein Mann, der es duldete, dass ihm ein anderer den Weg versperrte, sei er ein Mensch oder ein Geist. Mit einer wütenden Geste fuhr er mit seinem Stock mitten in das wabernde Stück Dunkelheit und stocherte darin hin und her, als wollte er es zerfetzen, und dabei rief er barsch: „Weg da, wer immer du bist, du stehst uns im Weg!“
Das dunkle Nebelfeld blähte sich, schwoll an, zog sich wieder zusammen. Die bösartige Energie, die es belebte, wurde deutlich spürbar. Es spie uns eine Welle von Hass und Niedertracht und mörderischem Willen entgegen.
Neben mir flüsterte Robert: „Mein Gott, es fühlt sich an wie dieser eklige Alte mit seiner Mordmaschine ...“
Als Alec jedoch einen grimmigen Schritt vorwärts machte, gab es klein bei. Mit einem fauchenden Laut, als entweiche Luft aus einem prall aufgeblasenen Reifen, wich es zurück, schnellte ein paar Stufen hoch und hing drohend dort, nur um wieder zurückzuweichen, als wir ihm nahekamen. Alec murmelte gereizt vor sich hin, während er seinen Stock vor sich hin und her schwang wie ein Blinder.
Kann ein Gespenst begeistert sein? Es fühlte sich ganz so an! Mathilde zupfte weiterhin an meiner Hand, viel energischer jetzt, und ich spürte ihre Freude darüber, dass wir den Unhold mühelos überwunden hatten. Sie hüpfte förmlich die Treppe hinauf. Manchmal meinte ich sogar, sie inmitten der Schatten zu
sehen,
das unklar aufblitzende Imago eines etwa sechsjährigen Mädchens, das keine Kleider trug. Ihr blondes Haar war lang und schlaff und hing wirr um ein bleiches Gesicht, dessen einzelne Züge zu verschwommen waren, um sie zu erkennen. Ich hatte jedoch den Eindruck, dass es eine triumphierende Miene zur Schau trug. Es musste sie aufs Höchste entzückt haben, dass wir den bösartigen Geist – zweifellos den ihres Mörders – so mühelos vor uns her gescheucht hatten.
Robert ergriff meinen Arm. „Es will zum Dachboden, nicht wahr?“
Ich nickte stumm. Obwohl das unsichtbare Wesen an meiner Seite kein Wort sprach, fühlte ich, dass es hinauf in den Dachboden wollte. Ich war überzeugt, dass wir dort oben Mathildes Leiche finden würden. Die schwarze Bosheit des Schattens, der uns entgegenhauchte
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