Das Haus der Feuerfrau (German Edition)
fragen, wer sie ermordet hatte und wo ihre armen Knochen lagen, und ihr, so gut es eben ging, die letzte Ehre erweisen.
Alle im Haus hatten meinem Plan zugestimmt, sich auch von den Gespenstern in ihrem eigenen Leben zu verabschieden. Wir hatten ihnen ebenfalls einen eigenen Tisch gedeckt, auf dem – soweit wir uns daran erinnern konnten – alles aufgebaut war, was sie im Leben liebten oder geliebt hatten. Auf diesem Tisch lagen schließlich auch ein Dutzend weißer Umschläge ohne Namen darauf. Wir wussten, jedes der Gespenster der Lebenden würden den Brief finden, der für sie oder ihn bestimmt war.
Unsere Vorbereitungen waren gegen sieben Uhr abends abgeschlossen, und bald darauf schellten die ersten Gäste am Tor. Wir waren zu dem Schluss gekommen, dass auch wir Lebenden in entsprechender Anzahl vertreten sein mussten. und gab es bessere Gäste auf einer Party der Toten als Terrys und Elenas Freunde? Im Lauf einer Stunde kamen sie, einzeln, zu zweien und dreien, alle totenbleich geschminkt, die Mädchen in feierlichen schwarzen Kleidern, die oft im Stil des Mittelalters geschnitten waren, mit engen, spitzen Miedern und weit gebauschten Röcken, die Jungen in Pluderhosen und schwarzseidenen Jacken. Alec flüsterte mir zu, sie sähen aus wie eine Schar Krähen, aber ich fand Gefallen an ihnen. Sie unterhielten sich in gestelzter Sprache und kultiviertem Tonfall mit uns und untereinander, und huschten mit raschelnden Seidenkleidern und gestärkten Röcken dahin und dorthin. Sie hatten ihre eigene Musik mitgebracht, einen Stapel CDs mit düsterer, aber erstaunlich gut tanzbarer Musik. Als die steifen Klänge von Gavotten und anderen antiquierten Tänzen das Haus erfüllten, spürte ich, dass es eine erstklassige Party zu werden versprach.
Zuerst aber musste getafelt werden. Wir waren nach dem arbeitsreichen Tag alle hungrig wie die Löwen und konnten es kaum erwarten, bis Coco und Alec auftischten, was sie mit vereinten Kräften in der Küche zubereitet hatten. Mitten in der Diele stand ein langer Tisch, und darauf dampften Schüsseln, glitzerten eisgekühlte Flaschen Weißwein und leuchteten Kerzen. In dem allgemeinen Durcheinander merkte ich nicht, dass Robert etwas im Schilde führte, dass er Terry mit einem Auftrag wegschickte und ungeduldig wartete, bis er wiederkam. Erst als wir uns alle zu Tisch setzten, entdeckte ich, dass unser Freund einen braunen Papierbeutel vor sich auf dem Tisch stehen hatte und dass auf seinem Teller diese verbeulte blaue Emailschüssel stand.
Wir starrten ihn alle an, und er erwiderte unsere verdutzt fragenden Blicke mit einem breiten Lächeln. Mit großer Feierlichkeit erhob er sich, öffnete den Papierbeutel und entnahm ihm einzeln den in fettiges Papier, Alufolie und Styroporschalen verpackten Inhalt, ein Sortiment des billigsten Junkfutters, das der Schnellimbiss in der neuen Siedlung zu bieten hatte.
Alec – der lieber Erde gefressen hätte als etwas dergleichen – blickte entsetzt hin. „Willst du das wirklich essen?“, erkundigte er sich. „Und zum Teufel – warum?“
Robert lachte. „Weißt du ... ich war mein Leben lang auf dieses ekelhafte Zeug fixiert. Zuerst, weil ich es nicht essen durfte, und dann, weil ich es essen musste und mir nichts anderes leisten konnte. Ich glaube, es ist jetzt der richtige Zeitpunkt, eines festzuhalten: Von heute an lasse ich es mir weder verbieten noch mich dazu zwingen.“ Er wühlte in dem Berg klebriger Verpackungen und förderte eine Plastikflasche zutage, die eine neonrosa Kunstlimonade enthielt. „Cheers, Alec.“
Wir setzten uns – alle in unseren besten Kleidern – und Alec, der Hausherr, sprach ein kurzes Tischgebet. Die nächste Stunde widmeten wir uns vor allem dem Essen, mit dem Alec und Coco sich so viel Mühe gegeben hatten. Ich sah erleichtert, dass Robert darauf verzichtete, sich mit seinem Plastikfraß vollzustopfen, und wie wir alle von der ausgezeichneten Fischsuppe und den anderen Köstlichkeiten aß. Als ich einmal einen Abstecher in die Küche machte, sah ich die rotweiß gestreiften Styroporpäckchen aus dem Müllsack hervorragen.
Dann erhob sich Elena und trat in die Mitte der Diele.
Sie sah wunderbar zart und zierlich aus in ihrem bodenlangen schwarzsamtenen Kleid und dem spanischen Shawl, den sie um Kopf und Schultern geschlungen hatte. Mit ihrer klangvollen Stimme sprach sie die Worte, die ein Mann vor mehr als dreitausend Jahren in Ägypten niedergeschrieben hatte:
„Heute steht mir der Tod
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